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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Überlebens dieser weltlichen Strafe, die nur die Vorbereitung auf das göttliche Gericht war. Leonardo und ich waren jedoch zu weit gegangen, viel zu weit. Wir hatten jede Grenze überschritten. Uns war der Scheiterhaufen sicher! Schon glaubte ich den Schmerz der Flammen an meinen Beinen zu spüren …
    Langsam zog der Dominikaner die Kapuze ab. Der Frater war zehn oder elf Jahre älter als ich, trug eine Tonsur und einen präzise ausrasierten Bart. Seine schwarzen Augen blickten mich durchdringend an, als wollten sie in meine Seele blicken. Er schien genauso erschrocken, mich hier zu treffen, wie ich, ihn zu sehen.
    »Ihr macht einen ziemlichen Krach«, beschwerte er sich. Sein Blick glitt zwischen Leonardo und mir vorbei und fand den sezierten Toten auf dem Tisch. »Du hast schon angefangen, Leonardo!« Das war ein Vorwurf mit dem Beigeschmack des Bedauerns.
    »Ich konnte nicht die halbe Nacht auf dich warten«, antwortete Leonardo.
    Der Frater kam auf mich zu. »Wer ist das?«, fragte er und deutete mit dem Finger des Inquisitors auf mich.
    »Das ist Raffaello Santi«, stellte Leonardo mich vor.
    Der Frater trat einige Schritte auf mich zu und ergriff meine Hand. »Ich habe deine Bilder gesehen. In Perugia und Città di Castello. Ich freue mich, dich kennen zu lernen, Raffaello! Ich bin Fra Bartolomeo.«
    Der Frater sah die Erleichterung über mein angespanntes Gesicht huschen und lächelte freundlich.
    Fra Bartolomeo, ein Schüler von Cosimo Rosselli, war vom Prior von San Marco gedrängt worden, wieder den Pinsel in die Hand zu nehmen, den er einst weggeworfen hatte, um Mönch zu werden. Im April 1498 hatte er unter dem Einfluss Savonarolas in San Marco das Gelübde abgelegt. Fra Bartolomeo war ein leidenschaftlicher Mensch: Er selbst hatte seine Skizzen von nackten Gestalten auf dem Scheiterhaufen der Eitelkeiten verbrannt.
    »Du siehst blass aus, Raffaello«, flüsterte Fra Bartolomeo fürsorglich. »Was ist der Grund? Der tote Dominikaner auf dem Tisch? Oder der Dominikaner in der Zellentür?«
    »Leonardo hat mir nicht gesagt, dass wir dich hier treffen würden, Frater.«
    »Einer seiner gefürchteten Scherze! Leonardo hat einen erschreckenden Humor. Mir hat er auch nicht gesagt, dass er nicht allein kommen würde, als ich ihm sagte, dass heute Nacht eine Leiche zur Verfügung stehen würde. Wahrscheinlich skizziert er morgen Früh unsere erschrockenen Gesichter in sein Arbeitsheft und verwendet sie für den Karton der Schlacht von Anghiari .«
    »Lasst uns weitermachen! Die Nacht ist kurz«, drängte Leonardo ungeduldig und drückte jedem von uns ein Skalpell in die Hand.
    Die nächsten vier Stunden sezierten Leonardo, Fra Bartolomeo und ich die Leiche des Mönches im Licht der niederbrennenden Kerzen. Schicht um Schicht trugen wir die Haut ab, zerschnitten das Fettgewebe, befreiten den Menschen von seiner Individualität und legten die Muskeln frei, die wirkliche Form. Dabei dachte ich an Michelangelos Worte, dass die Bildhauerei die Kunst war, durch Entfernung von Überflüssigem die Form zu finden, die im Geist des Künstlers vorgezeichnet war.
    Schweigend fertigten Fra Bartolomeo und ich im flackernden Kerzenschein eine Skizze nach der anderen an, während Leonardo weiter sezierte. Bald war der Boden der Zelle mit unseren Rötel- und Silberstiftzeichnungen bedeckt.
    Der Frater und ich suchten und fanden die wahre Form des Menschen: seine Knochen, seine Muskeln – Haltung und Bewegung. Was aber suchte Leonardo? Seine Seele? Das Leben selbst – den göttlichen Funken, den er in seinem Athanor nicht finden konnte?
    »Es wird bald hell«, flüsterte Fra Bartolomeo schließlich. »Wir müssen aufhören.«
    Der Tote war kaum mehr als Mensch erkennbar. Wir fügten seine Teile mittels Stoffstreifen und Bändern wieder zusammen und nähten ihn in das Leichentuch ein. Als wir die Zelle verließen, verriet nichts unsere stundenlange Anwesenheit.

    Todmüde machte ich mich während der Morgendämmerung allein auf den Weg zum Palazzo Taddei. Meine Skizzen trug ich fest zu einer Rolle verschnürt unter dem Hemd.
    Gierig atmete ich die kühle Morgenluft, die süß wie Rosenblätter duftete. Ich fühlte mich beschwingt und unerträglich, fast schmerzhaft lebendig. Der Nachtwächter des Viertels warf mir einen seltsamen Blick zu, als ich an ihm vorbeiging. Dachte er, ich wäre betrunken?
    Im Brunnen auf der Piazza wusch ich mir Hände und Gesicht.
    In der spiegelnden Wasseroberfläche erkannte ich mein Antlitz. Ich

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