Der Fürst der Maler
Marmorstaub getauft, Michelangelo. Ich werde dich mit Farbe taufen. Mit meiner Farbe!«
»Du hältst dich also für den Messias der Kunst? Du … ein Maler!« Michelangelo lachte höhnisch in das Donnern des Gewitters hinein.
»Du benutzt das Wort Maler wie eine Beleidigung«, warf ich ihm vor – so leise, dass er mich kaum verstehen konnte, denn der Regen prasselte gegen die gläsernen Fensterscheiben des Palazzo.
»Gott war der erste Bildhauer! Der menschliche Körper ist das erhabenste Kunstwerk: Er ist dreidimensional. Der Marmor wurde am zweiten Tag der Genesis von Gott erschaffen, Pinsel und Farbe erst durch den Menschen! Folglich ist die Bildhauerei die höchste aller Künste!«
»Das Ziel der Darstellung ist die Spiegelung des Göttlichen, des Unsterblichen: der Seele«, konterte ich, durch Onkel Bartolomeo mit der Weidenrute in platonischer Dialektik geschult. »Die Malerei ist die Kunst, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Bezeichnet nicht Platon den Körper als das Gefängnis der Seele? Sagt nicht Aristoteles, dass die Seele den Körper formt? Steht damit nicht die Seele über dem Körper?«
»Malerei ist Verführung. Sie ist Schein statt Sein. Sie stellt die platonische Ideenwelt in den Hintergrund. Die Bildhauerei verewigt die Idee des Künstlers in Marmor und Bronze!« Michelangelo versuchte, seinem Argument durch Lautstärke Nachdruck zu verleihen.
»Nichts als nackter Stein und kaltes Metall!« Ich passte mich mühelos seiner Lautstärke an. »Wo ist das Licht, der Schatten, die Farben? Die Lebendigkeit?«
»Mein David ist lebendig!«, schrie er mich an.
»So lebendig wie eine Figur von Perugino!«, brüllte ich zurück. »Dein David zeichnet sich nicht durch Originalität aus. Oder durch Bewegung. Er steht und wartet. Worauf wartet er? Auf Vergilius, der ihn durch Dantes Inferno führt? ›In der Mitte unserer Lebensreise befand ich mich in einem dunklen Wald, weil ich den rechten Weg verloren hatte …‹«, begann ich die ersten Verse der Divina Commedia zu zitieren.
Wartete nicht auch ich auf meinen Führer durch das Inferno? Oder hatte ich ihn bereits gefunden?
Draußen tobte der Gewittersturm durch die Stadt und riss alles mit, was sich ihm in den Weg stellte. Hier drinnen war es der Sturm unserer Gefühle, der uns mit sich riss. Und unsere Selbstbeherrschung.
» Basta! Es ist genug!«, brüllte Michelangelo und wollte auf mich losgehen. »Va all’ inferno!«
Von Onkel Bartolomeo war ich nicht nur in der Kunst der Rede geschult, sondern durch Onkel Simone auch in der Kunst der Verteidigung. Ich trat einen Schritt vor, um seinen Angriff abzuwehren.
»Ihr beide erhebt das Wortgefecht zur Kunstform und bringt diese auch gleich zur Vollendung«, unterbrach Taddeo unseren Streit. Wie lange hatte er in der Tür gestanden und unsere Auseinandersetzung verfolgt? Er lächelte nicht, als er zwischen uns trat, um den Marmor-Tondo zu betrachten.
»Er ist fertig!«, erklärte Michelangelo überflüssigerweise.
Taddeo bestaunte wortlos das Relief.
»Gefällt er dir? Was denkst du?«, drängte Michelangelo mit kantigen Worten, als er Taddeos Schweigen nicht mehr ertrug.
Taddeo wandte sich zu mir um. »Raffaello, sag mir, was dieser Tondo wert ist!«
In diesem Augenblick hasste ich ihn aus vollem Herzen. Wieso zwang er mich, ein Urteil abzugeben? Spielte er mit mir?
»Der Entwurf ist zehn Fiorini wert«, schätzte ich. Ich wollte schon fortfahren, als Michelangelo sich auf mich stürzte.
»Zehn Fiorini?«, brüllte er. Seine kräftige Hand, die gewohnt war, den Marmor zu formen, traf mich im Gesicht, und ich taumelte rückwärts.
Taddeo sprang zwischen uns. »Lass Raffaello ausreden, Michelangelo! Ich habe ihn nach seiner Meinung gefragt!«
»Der Entwurf ist zehn Fiorini wert«, wiederholte ich, während Taddeo mir wieder auf die Beine half. »Das Gesicht der Maria ist fünfzig Fiorini wert, ebenso der kleine Erlöser. Für den Täufer gib ihm zweihundert!«
Taddeo sah mich nachdenklich an, aber nicht wegen des gepfefferten Preises. »Aber Giovanni ist doch kaum zu erkennen! Und mein Vertrag mit Michelangelo lautet über einhundert Fiorini«, wandte er ruhig ein.
»Du wolltest meine Meinung hören. Zweihundert für den Täufer!«, insistierte ich.
Michelangelos Blick bohrte sich wie ein Punktiereisen zwischen meine Schultern.
»Also gut«, gab Taddeo nach und winkte einem Diener. »Dreihundertzehn Fiorini für diesen Tondo von Maestro Buonarroti.«
»Du hast den Preis mehr als
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