Der Fürst der Maler
nächsten Morgen half ich meinem Maestro, seine Truhen auf den Wagen zu laden. Zum Abschied reichte er mir die Hand und wünschte mir viel Erfolg.
Er sagte nicht: Auf Wiedersehen!
Auf dem Rückweg vom Apotheker kam Gianni in die Bottega gerannt, als sei der Erzengel Gabriel mit Feuer und Schwert hinter ihm her. Er warf die Papiertüte mit dem Himmelblau auf den Werktisch und überreichte mir zwei Briefe.
Der eine war wirklich von einem Arcangelo.
Ich entfaltete den Bogen und begann schweigend zu lesen.
Gianni, der mir sonst meine Briefe vorlas, während ich malte, platzte fast vor Neugier. Vor wenigen Wochen war ein Brief von Giovanni Bellini aus Venedig gekommen, und ein paar Tage später einer von Albrecht Dürer aus Nürnberg. Gianni hatte die wenigen Zeilen Maestro Albrechts so ehrfurchtsvoll gelesen wie die Evangelien, bevor er die mir überlassene Federzeichnung für seine Skizzenmappe kopierte. Albrecht Dürer kündigte mir seine Reise nach Venedig für den Herbst an.
Gianni beobachtete mich, als könnte er in meinen Augen lesen, was Michelangelo mir geschrieben hatte. Der hielt sich seit April in Carrara auf, um das Brechen der Marmorblöcke für Papst Julius’ Grabmal zu überwachen. Ihm war langweilig. Unter dem Eindruck der zerklüfteten Steinbrüche erwog er in einem ungestümen Anfall von Arbeitswut, einen ganzen Berg als kolossale Skulptur zu behauen, die für die Schiffe wie ein Leuchtturm sichtbar wäre. Außer Michelangelo hätte nur noch Herakles auf diese unsinnige Idee kommen können. Ich lächelte, als ich seine ungeduldig hingeworfenen Zeilen las.
In Rom stapelten sich bereits die ersten Marmorblöcke auf der Piazza San Pietro. Giuliano da Sangallo, der hoffte, von Julius zum Architekten von San Pietro ernannt zu werden, überarbeitete die Pläne zum dritten Mal, damit die Kuppel der neuen Kathedrale das Grabmal des Papstes aufnehmen konnte. Michelangelo wollte auf der Rückreise von Carrara nach Rom über Florenz reisen …
Der andere Brief war von der Contessa Felice. Sie hatte vor wenigen Wochen dem Erben des Conte Orsini das Leben geschenkt. Seine Heiligkeit war so glücklich über die Geburt seines Enkels, dass er in der Sixtina eine Messe lesen ließ. Sie schrieb mir, um mir mitzuteilen, dass sie ihrem Sohn den Namen Girolamo gegeben habe. Der Kleine erinnere sie an mich, ihren mutigen Retter. Und an eine unvergessliche Liebesnacht …
Jahre später hat Gianni mir gestanden, dass er versucht gewesen war, mich in diesem Augenblick zu zeichnen. Unbeweglich stand ich in der Bottega, in der zitternden Hand Felices Brief. Die Luft um mich herum hatte Feuer gefangen. Ich dachte an sie. Wie sie ihren Sohn liebevoll in ihren Armen wiegte. Wie sie ihn die ersten Schritte gehen ließ. Wie sie mit ihm spielte wie die Madonna, die ich gerade malte, mit ihrem Sohn. Ich musste gestöhnt haben, denn Gianni sah mich entsetzt an. De profundis clamavi ad te, Domine! Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, Herr! Hilf mir! Erlöse mich! Lass sie mich endlich, endlich vergessen!
Ich zerriss den Brief in kleine Fetzen, die wie Schneeflocken zu Boden rieselten. Dann vernichtete ich das Bildnis der Madonna für Piero Soderini, an dem ich seit fünf Wochen gearbeitet hatte. Gianni sah mir erstarrt vor Entsetzen zu.
Wie konnte er ahnen, wer die Frau war, die ich aus dem Gedächtnis gemalt hatte!
»Ich muss bald zurück«, sagte Eleonora mehr zu den Wolken als zu mir.
Verschlafen öffnete ich die Augen und betrachtete ihr Gesicht, das an meiner Schulter lehnte. Wir lagen eng umschlungen im Schilf des Arno. In unseren Seelen schwang das Echo unserer Lust nach wie die Glockenschläge des Domes, die zur Stunde der Vesper läuteten. Wir hatten uns im Uferschilf des Flusses geliebt.
»Ich bringe dich zurück nach Santa Croce«, versprach ich und schloss wieder die Augen. »Aber noch nicht …«
»Ich meinte nicht das Kloster, Raffaello«, flüsterte sie und küsste mich. »Ich muss zurück nach Mantua. Der Marchese hat mir geschrieben.«
Nie habe ich sie von Francesco Gonzaga als von ihrem Vater sprechen hören. Sie nannte ihn immer den Marchese. Ich wartete ab, was sie mir zu sagen hatte. Seine Exzellenz griff nicht ohne Grund selbst zur Feder, um seine Tochter aus dem Kloster in Florenz nach Mantua zurückzuholen.
Sie richtete sich auf und sah auf mich herab. Ihr geöffnetes Mieder bot mir zwei reife Granatäpfel dar. Als sie meinen Blick bemerkte, raffte sie den Brokatstoff zusammen und bedeckte ihre
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