Der Fürst der Maler
Viti und Pietro Perugino. Gian Francesco war bereit, alles aufzugeben, was er bisher gelernt hatte, und ganz von vorne anzufangen. Er war ein aufgeweckter junger Mann. Die Arbeit mit ihm würde mir ebenso viel Freude machen wie unsere abendlichen Gespräche über die Bücher von Pietro Bembo und die Sonette von Baldassare Castiglione, die ich ihm geliehen hatte, damit er in der Volgare – der italienischen Umgangssprache – lesen lernte.
Gian Francesco griff in die Tasche seines verschlissenen Hemdes und reichte mir eine Hand voll Münzen. »Vier Fiorini und zehn Soldi – das ist alles, was ich habe. Nimm es als Lehrgeld!«
Ich konnte nicht nein sagen, obwohl ich ahnte, dass er das Geld gestohlen hatte. So wie ich, als ich Maestro Pietro meine fünf Dukaten über den Werktisch geschoben hatte. So wurde Gianni, wie ich ihn fortan nannte, mein erster Schüler. Er schleppte seinen Strohsack aus dem Haus des Wollfärbers in meine Bottega und brachte die Werkstatt in Ordnung, während ich unter dem Vorwand, zum Mercato Vecchio zu gehen, dem Färber sein Geld zurückbrachte.
Ein paar Tage später brachte Sandro Botticelli den neunzehnjährigen Andrea d’Agnolo, der nach dem Beruf seines Vaters Andrea del Sarto genannt wurde, in meine Bottega. Andrea erklärte mit einem übermütigen Grinsen, es mache ihm nichts aus, der Sohn eines Schneiders zu sein – der Messias sei schließlich auch nur der Sohn eines Zimmermanns gewesen. Er hatte eine Lehre als Goldschmied gemacht, um sich unter dem Einfluss der Werke Michelangelos und Leonardos als Schüler Piero di Cosimos in die Fraternità San Luca einzutragen. Das Goldschmiedehandwerk ist die beste aller Schulen, denn es vereint Kunst und Technik in sich. Filippo Brunelleschi, Lorenzo Ghiberti, Domenico Ghirlandaio und Andrea del Verrocchio hatten als Goldschmiede ihre künstlerische Karriere begonnen.
Andrea del Sarto kam oft vorbei und half in meiner Bottega aus, band mir neue Pinsel aus Marderhaar und Schweineborsten, zerrieb und mischte meine Farben mit einer Hingabe, als hinge sein Lebensglück an dem blauesten Blau von ganz Florenz. Dabei legte er sich mit Gianni an, der seine neue Aufgabe als mein Garzone sehr ernst nahm.
Eines Tages stellte Andrea del Sarto seine Staffelei neben meine und begann mich zu kopieren. Auch er malte nicht mehr di colore, mit Farben, sondern di carne, mit Fleisch: Seine Figuren atmeten, sie waren lebendig. Ich muss gestehen, dass ich geschmeichelt war, als Andrea mich zum ersten Mal ›seinen Maestro‹ nannte. Aber als ich sah, dass er keine eigenen Ideen zustande brachte, warf ich ihn hinaus. Ich schickte ihn zurück zu Piero di Cosimo, weil ich ihm eine Chance geben wollte. Eine Chance, den Fehler zu vermeiden, an den ich vier Jahre meines Lebens verschwendet hatte: einen Maestro zu kopieren, um zu malen wie er.
Gianni war glücklich. Die Regeln der Fraternità verboten einem Maestro, mehr als einen Lehrling pro Jahr aufzunehmen. Gianni wollte Maler werden – so wie Leonardo, Sandro und Bartolomeo, denen er mit scheuer Ehrerbietung begegnete, wenn sie meine Werkstatt besuchten. Gianni wollte der beste Maler von Florenz werden – das hieß in seinen Worten: Er wollte malen wie ich.
Doch bevor ich ihm gestattete, einen Pinsel in die Hand zu nehmen, ließ ich ihn meine Rezepturen für Gipsgrundierungen, für die Grisaille-Untermalung und schnell trocknenden Leim für die Imprägnierung einer Leinwand, für die Farben in Nuss- und Leinöl und einen schimmernden Firnis aus Bernstein in ein Arbeitsheft schreiben. Wichtiger als die Niederschrift der Rezepte war mir jedoch, dass Gianni schreiben lernte.
Dann zeigte ich ihm, wie er Modelle aus Stoffresten und Gips herstellen konnte, an denen er das Zeichnen des Faltenwurfs mit Silberstift und Rötel lernen sollte. Seine Skizzen wollte ich für meine Gemälde verwenden. Meine eigenen Entwürfe übertrug er auf vorbereitete Holztafeln, um sie mit Grisaille zu untermalen.
Gianni hatte nicht nur ein bemerkenswertes Talent, sondern auch Freude an der Arbeit. Anfang Juli ließ ich ihn zum ersten Mal mit dem Pinsel an eines meiner Bilder. Er malte ein Stück Himmel.
»Du regierst Florenz!«, seufzte Pietro Perugino, als er mir gegenüber auf der Holzbank der Trattoria Platz genommen hatte. »Nicht Piero Soderini als Gonfaloniere, nicht Taddeo Taddei als reichster Bankherr. Auch nicht Michelangelo. Und seit Leonardo die Schlacht von Anghiari endgültig verloren hat …«
Leonardos Versuch,
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