Der Fürst der Maler
den angebotenen Waren bogen.
Gierig wie ein halb Verhungerter atmete ich den Duft von Salamis aus Wildschwein, geräuchertem Prosciutto, Käse in Walnussblättern und Trüffeln aus dem nahen Dorf Acqualagna. Das war das unverwechselbare Profumo von Urbino!
Am Dom vorbei ging ich zum Palazzo Ducale hinauf. Ich blieb stehen und sah an der glatten Fassade aus Ziegelsteinen hoch. Und überlegte mir, wie Giuliano da Sangallo diese Architektur genannt hätte: schlicht und schmucklos. Der Eindruck einer großen, aber einfachen Casa änderte sich spätestens beim Betreten des Cortile, der den des Palazzo Medici oder des Palazzo Strozzi in Florenz an Pracht und Eleganz übertraf.
Die Loggien und Säle des Palastes waren einfach eingerichtet – bescheiden für einen der mächtigsten Herzöge Italiens – und wirkten doch hoheitsvoll. Der Palazzo Ducale von Venedig war prächtiger als der von Urbino. Venedig konnte es sich leisten. Urbino auch, aber der Herzog von Urbino konnte ebenso gut auf die Zurschaustellung seines Reichtums verzichten. Seinen Hof zierten nicht Gold, Marmor und Seidentapeten, sondern Gedankenfreiheit, Kultur und Bildung – das hatte Cesare Borgia bei seiner Eroberung von Urbino nicht stehlen können. Anders als der Doge von Venedig gestattete Herzog Guido seinen Untertanen an manchen Tagen den freien Zutritt zum Palazzo mit seiner unvergleichlichen Bibliothek. Er hatte nichts zu verbergen und war jederzeit für jedermann zu sprechen.
Francesco Buffa, der herzogliche Sekretär, empfing mich mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Im Palazzo Ducale gab es keine Geheimnisse, die nicht spätestens am nächsten Morgen in schriftlicher Form auf seinem Schreibtisch landeten. Das galt auch für meine Affäre mit seiner Tochter Clarissa. Buffa behandelte mich wie einen Floh auf seinem Ärmel, aber ich ließ mich durch sein unhöfliches Verhalten nicht abschrecken und bat um eine Audienz bei Francesco.
Dann stürmte ich die breite Marmortreppe vom Cortile ins Piano Nobile hinauf. Erst auf den letzten Stufen bemühte ich mich um Ruhe und Haltung. Die letzte Rüge zu meinem ungestümen Verhalten hatte ich von Herzog Guido selbst erhalten, als ich Francesco zu einer Partie Calcio im Innenhof des Palastes angestiftet hatte. Eine der Fensterscheiben direkt über dem Schriftzug Federicus Urbini Dux war dabei zerbrochen.
Gemessenen Schrittes stieg ich die letzten Stufen hinauf. Aus
der Loggia erklang das Geräusch eines erbittert geführten Kampfes.
Ich fand Francesco mit seinem Fechtmeister in der Loggia, wo er zwischen den Gemälden meines Vaters und Piero della Francescas seine Fechtübungen machte.
Francesco jagte den Offizier seiner Leibgarde mit dem blanken Degen um einen Eichenholztisch herum. Er hatte seine Brokatjacke über einen Stuhl geworfen und focht mit offenem Hemd. Francesco bewegte sich mit der kraftvollen Eleganz eines wütenden Löwen. Er führte den Degen mit einer unglaublichen Schnelligkeit und Härte.
Francesco bemerkte mich, drängte seinen Gegner gegen die Wand und ließ seine Waffe sinken. Mit einer herrischen Handbewegung entließ er den Offizier, der sich verneigte und verschwand.
Mit dem Degen in der Hand kam Francesco zu mir herüber. Mit einer fahrigen Bewegung öffnete er das Seidenband, das seine langen blonden Haare im Nacken zusammenhielt, und strich sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. Wie eine Kaskade aus Licht fielen die Locken über seine Schultern, reichten fast bis zum Gürtel.
»Raffaello! Ich freue mich, dass du den Weg zurück nach Urbino gefunden hast«, rief er.
Francesco hatte sich verändert in der Zeit meiner Abwesenheit. Er war nun so groß wie ich. Im Gegensatz zu mir hatte er die täglichen Fechtübungen und die Läufe durch die Hügel um Urbino fortgesetzt, während ich in Florenz anstelle meines Degens nur meinen Pinsel geschwungen und sämtliche olympischen Disziplinen vernachlässigt hatte. Seine blauen Augen funkelten wie die einer Raubkatze, die mit ihrer Beute spielte, bevor sie sie verschlang.
Ich verneigte mich spöttisch und begrüßte ihn: »Euer Gnaden!«
Er steckte seinen Degen zurück in die Scheide und küsste mich auf beide Wangen. »Lass den Unsinn, Raffaello! Erbe des Herzogs von Urbino! Präfekt von Rom! Neffe des Papstes! Nächster Gonfaloniere der Kirche! Ich kann es nicht mehr hören. Niemand wagt es noch, mir in die Augen zu sehen. Was soll ich mit diesen Titeln, wenn ich nicht mehr weiß, wer
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