Der Fürst der Maler
Gio’ war krank. Er hustete, als hätte er die Schwindsucht. Der Medicus, den ich um Medizin bat, konnte ihm nicht helfen. Vielleicht wollte er es auch nicht, weil ich ihm verbot, Gio’ ohne Diagnose zur Ader zu lassen, und ihn über seine Kenntnisse der arabischen Heilkunde ausfragte.
Durch mein Studium der Bücher von Galenus und Abu Ali Ibn Sina und durch meine anatomischen Untersuchungen in San Marco hatte ich mehr medizinische Kenntnisse, als jener Medicus sich vorstellen konnte. Aber Gio’s Fieber konnte auch ich nicht senken. Er fantasierte, wälzte sich in Schweiß gebadet auf seinem Bett. Ich wusch ihn, sprach mit ihm und hielt ihn im Arm. Am Ende der Woche war auch ich zu Tode erschöpft, weil ich ihn keine Minute allein lassen wollte.
Und ich war so wütend über meine Hilflosigkeit, dass ich mit Gio’ in meinen Armen an das Portal des Palazzo Doni klopfte.
Maddalena war erfreut, dass ich ihrem Drängen nachgegeben hatte, und wies mir ein Zimmer im Piano Nobile zu: gleich neben ihrem. Doch ich weigerte mich, den Jungen in einer Dienerkammer unterzubringen, und ließ Gio’ bei mir in meinem Bett schlafen. Er nahm jede Medizin, die ich ihm gab. Vor allem aber genoss er die Liebe, die ich ihm schenkte.
Maddalena war wütend, dass sie meinem Bett keinen Schritt näher gekommen war, obwohl ich einige Wochen im Palazzo Doni wohnte. Ich konnte ihr Porträt nicht anders malen als mit einem zornigen, enttäuschten, trotzigen Ausdruck, der ihr schönes Gesicht entstellte.
Angelo wiederum war geschmeichelt über meinen Aufenthalt in seinem Palazzo. Nicht nur einmal bezeichnete er mich als seinen kostbarsten Besitz. Ich kam mir vor wie eine seiner antiken Statuen – wie ein Ausstellungsstück.
Er wollte mich trotz oder gerade wegen meiner lauten Auseinandersetzung mit Maddalena bei Laune halten, denn er hatte den Preis für die beiden Porträts von sich und Maddalena auf sechshundert Fiorini d’Oro heruntergehandelt. Seine besten Argumente waren unsere von der Dienerschaft gefürchteten Calcio-Spiele im Innenhof seines Palazzo und seine umfangreiche Bibliothek. Und seine vor Stolz leuchtenden Augen bei der allabendlichen Passeggiata auf der Piazza San Giovanni, wenn er seinen Freunden erzählte, dass er den teuersten Künstler von Florenz in seinem Palazzo zu Gast hatte.
Als Gio’ sich erholt hatte, besuchte ich wieder regelmäßig die Disputationen in Baccios Werkstatt mit Taddeo, Antonio, Sandro, Niccolò und Leonardo. Mein Freund Bastiano da Sangallo lud mich eines Abends ein, an einem anderen Treffen junger Künstler teilzunehmen: Sandro und Leonardo seien zu alt für mich, sagte er mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Bastiano hatte versprochen, mich in die Geheimnisse der Alchemie einzuweihen. Ridolfo Ghirlandaio, Andrea del Sarto und einige andere junge Maler wie Francesco Granacci, die ich in den letzten Monaten in meiner Werkstatt in der Via dell’ Inferno kennen gelernt hatte, erwarteten mich. Bastiano hatte nicht zu viel versprochen. Ich lernte tatsächlich die verborgenen Geheimnisse der menschlichen Alchemie kennen, der Kunst, Unedles in Gold zu verwandeln und mittelmäßige Maler in begabte Künstler – Lebenskünstler.
Bastiano da Sangallo, Ridolfo Ghirlandaio, Andrea del Sarto und Michelangelos Freund Francesco Granacci diskutierten nicht über Platon und Aristoteles, Augustinus oder Thomas von Aquin. Sie erhoben die Ars Vivendi zur Kunstform. Sie hielten lärmende und exzentrische Gelage ab, betranken sich mit Vino Santo, vergnügten sich mit den teuersten Kurtisanen von Florenz und kopierten dann Bilder von Leonardo, Michelangelo und mir. Aber nicht mit Farben auf einer Leinwand, sondern mit gebratenem Kapaun, exotischen Früchten, Käse und Gewürzen aus dem Orient, die sie auf einer großen Silberplatte arrangierten. Anschließend wurden die kunstvollen Kompositionen verspeist.
Der Höhepunkt einer dieser Orgien war die nachgestellte Schlacht von Anghiari, bei der Andrea del Sarto Bastiano da Sangallo und mich mit gefüllten Krapfen bewarf. Wir waren über und über mit Puderzucker und Marmelade bedeckt, die an uns herablief wie die Farben an der Wand im Ratssaal.
Als Bastiano, der genauso betrunken war wie ich, mich am Morgen nach der Schlacht in meine Bottega in der Via dell’ Inferno zurückbrachte, wartete Michelangelo auf mich.
Bastiano stand schwankend im Eingang und stützte sich auf mich. »Ich werde euch Verliebte am besten allein lassen«, grölte er und machte auf
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