Der Fürst der Maler
dem Absatz kehrt.
Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und barg das Gesicht in meinen Händen. Mein Kopf schmerzte, als hätte ihn jemand mit dem Hammer bearbeitet.
»Was hast du ihm von uns erzählt?«, fauchte Michelangelo. Er stand vor mir wie der trojanische Held Hector vor Achilleus.
»Nichts. Gibt es denn etwas zu erzählen?« Ich war viel zu müde, um mich mit ihm herumzustreiten.
»Offensichtlich. Wie willst du mir das erklären?« Er deutete auf die vollendete Statue. »Du hast mich gemeißelt!«, brüllte er. »Als einen Sterbenden, einen Gekreuzigten! Du hast mich gekreuzigt, indem du Ihm mein Gesicht gabst. Du wolltest dich an mir rächen, weil ich als Bildhauer und Maler mehr Talent besitze als du. Du wolltest mich lächerlich machen. Ecce homo!, dies ist Michelangelo, und ich, Raffaello, habe ihn besiegt«, donnerte er.
»Das ist Unsinn, Michelangelo! Ich habe Ihm deine Züge gegeben, weil ich dich liebe, dich verehre, weil ich …«
»Du liebst mich also! Dann ist jener Mann mit dem ›Es ist vollbracht‹ auf den Lippen ein Mann, der sich der Agonie und der Ekstase der Liebe ergab? Der sich den Händen und Lippen seines Geliebten unterwarf? Der nach einem triumphalen Rausch der Lust darauf wartet, erneut benutzt zu werden?«
»Ich benutze dich nicht, Michelangelo!«
»Wie nennst du es, wenn du zu mir kommst, um dich an mir zu reiben, bis die Funken fliegen? Wie nennst du es, wenn du meine Bilder kopierst und mich in allem, was ich tue, imitierst? Nein, Raffaello, du benutzt mich nicht! Du vergewaltigst mich!«
Das letzte Wort ragte zwischen uns aus dem Schweigen wie die Mauern von Troja: Hector stand auf der einen Seite und Achilleus auf der anderen. Doch die Mauern von Troja würden fallen, eines Tages. Und einer der Krieger würde den anderen besiegen.
Meine Trunkenheit war verflogen. Ich war zornig, und ein Schwall von Worten stieg wie heiße Lava in mir hoch: »Ich tue dir Gewalt an? Das kannst du selbst am besten, Michelangelo!«, brüllte ich. »An wem hast du dich gerieben, bevor ich nach Florenz kam? An Sandro Botticelli? Nein, denn er ist kein ernst zu nehmender Gegner. An Pietro Perugino? Ihn zwangst du mit beißendem Spott in die Knie. An Leonardo da Vinci? Nein, denn er malt ohnehin kein Bild zu Ende.
Seit ich in Florenz bin, reibst du dich an mir. Weil ich es mit dir aufnehmen kann, mit deinem Verstand und mit deinem Talent. Weil ich es mit dir aufnehmen will, Maestro Buonarroti!«
»Du gibst es also zu: Du hast mir den Krieg erklärt«, übertönte er mich mühelos. »Du hast Bramante gegen mich aufgehetzt, als du ihn im letzten Sommer in Urbino getroffen hast, anlässlich der Hochzeit deiner Geliebten mit deinem besten Freund.«
»Ich habe …?«
» Il Terribile hat mir den Auftrag für das Grabmal entzogen! Das Grabmal habe noch Zeit, sagte er, denn der Tod sei per definitionem das Letzte, was ihm widerfahren könne. Er hat mich abgefertigt wie einen seiner Diener, und Donato Bramante stand höhnisch grinsend daneben. Dein Onkel Donato! Noch am Tag meiner Abreise ließ er zu, dass meine Werkstatt bei San Pietro geplündert wurde. Alle Marmorblöcke, die ich in Carrara für Julius’ Grabmal gebrochen habe, sind zerstört. Neun Monate harter Arbeit sind vergeblich. Einen Tag später fand die feierliche Grundsteinlegung von San Pietro statt. Bramante triumphierte, als auch Giuliano da Sangallo wütend Rom verließ. Er hatte die ersten Pläne für San Pietro entworfen.«
»Das tut mir Leid …«, begann ich.
»Geh zum Teufel! Es ist deine Schuld! Du hast Bramante gegen mich aufgehetzt …«
»Das ist nicht wahr«, unterbrach ich ihn hitzig.
»… weil du nicht selbst den Auftrag für die Decke der Sixtina erhalten hast. Ihr Urbiner steckt doch alle unter einer Decke!«
Ich schnappte nach Luft. »Ich habe mich nie um die Sixtina beworben.«
»Natürlich nicht! Wenn man Kardinal Giovanni de’ Medici kennt, muss man sich auch nicht bewerben. Man muss nicht einmal malen können. In Rom muss man nur Beziehungen haben.«
»Du kennst Giovanni viel besser als ich. Schließlich bist du mit ihm zusammen aufgewachsen, als Lorenzo il Magnifico dich in seinem Palazzo wohnen ließ.«
»Giovanni hasst mich! Er hat Julius den Floh ins Ohr gesetzt, dass ich die Sixtina ausmalen soll. Da streiche ich doch lieber die Stadtmauer von Florenz!«
Michelangelo schloss sich tagelang in seiner Bottega ein und war für niemanden zu sprechen. Auch nicht für Piero Soderini, der sich
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