Der Fürst der Maler
bevor sie auf dem Scheiterhaufen brennen.«
»Ich will nicht mehr mit dir streiten, Raffaello! Ich liebe dich.« Als ich nichts sagte, fuhr er fort: »Die Nächte in den Steinbrüchen von Carrara waren lang. Und einsam. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Zu viel. Überall habe ich dich gesehen: dein Gesicht in meinen Träumen, deinen Körper in den Steinmetzen, die die Felsen sprengten, deine unnahbare Seele im Marmor selbst. Ich war verzweifelt. Du hast keinen meiner Briefe beantwortet.«
Ich verriet ihm nicht, dass ich sie alle verbrannt hatte: »Was hätte ich dir schreiben sollen?«
»Dass du mich vermisst …«
»Was hättest du dann getan? Wärest du nach Florenz gekommen, um mich zu sehen?«
»Ja.«
»Ich war in Urbino.«
»Das habe ich von Baccio gehört. Er hat mir geschrieben. Dass Eleonora Gonzaga – deine Eleonora – nun mit deinem besten Freund Francesco verheiratet ist. Und dass der Neffe des Herzogs dich aus Urbino fortgeschickt hat.«
»Was hätte ich sonst noch schreiben sollen?«, fragte ich wütend. Die Erinnerung an den Abschied von Eleonora und Francesco schmerzte immer noch. »Dass ich in Venedig war? Dass ich mit Albrecht Dürer und Tiziano Vecelli durch die Weinschänken und Palazzi der Kurtisanen gezogen bin? Dass Tiziano mich gemalt hat? Dass ich Baccio nach meiner Rückkehr nach Florenz gebeten habe, mich die Bildhauerei zu lehren?«
»Du hättest mir schreiben sollen«, beharrte er stur.
»Wozu?«
»Ich hätte dir die Bildhauerei besser beibringen können.«
»Das hättest du getan?«, fragte ich ungläubig.
»Ja!«, brüllte er verzweifelt.
Zu welchen Opfern war er bereit, um mir nahe zu sein?
Ich lud ihn ein, mich in den Palazzo Taddei zu begleiten. Taddeo, Baccio und ich wollten die Heilige Nacht zusammen mit unseren Freunden feiern. Niccolò Machiavelli, Sandro Botticelli, Antonio da Sangallo, Andrea del Sarto und Fra Bartolomeo waren ebenfalls gekommen.
Während des Abendessens schwiegen Michelangelo und ich uns an.
Es war ein zärtliches Schweigen, dessen feine Struktur durch Worte nur zerrissen worden wäre. Was hätten wir dem anderen sagen wollen, was nicht auch unsere Blicke sagen konnten? Ein ›Ich habe dich vermisst‹ oder ein ›Ich habe mich nach dir gesehnt‹ wäre charmant und vielleicht sogar poetisch gewesen, entsprach aber nicht dem Sturm unserer Gefühle.
Wir waren leer und tranken einander, berauschten uns aneinander, tauchten in die Gegenwart des anderen ein, um uns genüsslich darin zu räkeln. Michelangelo und ich genossen den Abend in vollen Zügen. Wir lachten und scherzten und warfen uns immer wieder lange Blicke zu, die den anderen nicht entgingen.
Gegen Mitternacht waren wir beide so betrunken, dass Taddeo uns zu Bett brachte. Deo gratias in zwei verschiedene Betten. Ich hätte Michelangelo in jener Nacht keinen Widerstand leisten können. Wie ich doch von ihm geliebt werden wollte!
Unser Glück dauerte nicht lange: Zwei Tage später reiste Michelangelo weiter nach Rom.
Das Jahr 1506 begann mit den Kriegsplänen des Papstes. Es hieß, Julius wollte sich mit Ferrara, Mantua, Florenz und Siena verbünden, um die Baglioni aus Perugia und die Bentivoglio aus Bologna zu vertreiben und um Venedig für die Kirche zurückzuerobern. Für Julius schien es nur zwei Dinge zu geben, die ihn leidenschaftlich bewegten: die Kunst und der Krieg. Die Kunst war sein Leben, der Krieg sein Beruf. Für die Theologie schien er nur wenig Zeit erübrigen zu können.
In Frankreich wurde der Ruf nach einem Konzil laut, um Julius wegen Simonie abzusetzen. Die kurze und unhöfliche Antwort des Terribile an König Louis lautete: »Wir verkaufen Kardinalshüte, Altäre und die Schlüssel des Vatikan, wie es Uns beliebt. Wir haben das Recht dazu, denn Wir haben all das ja schließlich auch teuer gekauft. Mit französischem Geld.« Und so musste Louis XII ., der ein Vermögen ausgegeben hatte, um Kardinal Giuliano della Rovere auf den Stuhl Petri zu setzen, noch mehr Gold investieren, um die Kardinäle zurückzukaufen, die Julius absetzen sollten.
Der Februar war unerträglich kalt. An den Wänden meiner Bottega bildeten sich Eiskristalle, die auch die Kohlefeuer, die Gianni ständig anfeuerte, nicht auftauen konnten. Es war zu kalt, um zu malen, denn die Farben standen gefroren auf dem Werktisch, und es war zu kalt, um den Marmor zu schlagen, denn der Stein zersplitterte unter meinen ungelenken Schlägen.
Unsere Strohmatratzen waren feucht und moderig, und
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