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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Menschen darzustellen. Er wird dir weder Moses noch Jesus malen. Was soll der Junge also als Malerlehrling in deiner Werkstatt?«
    »Gio’ malt Blumen und Früchte, Himmel und Erde. Das verbietet ihm seine Religion nicht.«
    »Willst du dich eigentlich gegen alles und jeden auflehnen? Mit jeder Konvention brechen?«
    »Ich habe nichts zu verlieren«, trotzte ich.
    Albrecht seufzte resigniert. »Vielleicht werden sie dich doch nicht heilig sprechen, Raffaello! Mit einem Juden in deiner Werkstatt werden sie dich kreuzigen«, prophezeite er.

    Ich hätte für immer in Venedig bleiben können! Wie ich die Serenissima liebte, die so unbeständig war wie ihr schwankendes Spiegelbild in der Lagune!
    Für einen Augenblick überlegte ich mir wirklich ernsthaft, von Florenz nach Venedig zu ziehen, um mit Tiziano Vecelli gemeinsam eine Werkstatt zu eröffnen. Der Abschied von meinem Freund Albrecht fiel mir schwer.
    Aber es gab einen Menschen, einen einzigen, den ich wiedersehen wollte. Der mich ein Stück weit auf meinem einsamen Weg begleiten konnte.
    Deshalb, und nur deshalb kehrte ich zurück.

Kapitel 7
Kampf der Erzengel
    S teinsplitter flogen in alle Richtungen.
    Meine Hände schmerzten, nicht nur vom Gewicht des Hammers und des Schlageisens, sondern von den Schlägen auf den widerspenstigen Marmor. Ich hielt den Meißel locker, wie Baccio es mich in den letzten Wochen – seit meiner Rückkehr aus Venedig – gelehrt hatte: so, dass das Eisen freie Bewegung in meiner Hand hatte und die Wucht des Schlages nicht durch meine Finger abgeschwächt wurde.
    Zuerst war ich wie ein verrückt gewordener Sisyphos auf den Stein losgegangen, um ihn zu besiegen. Ich hatte die Ecken und Kanten mit dem groben Eisen abgerundet und mit Kohle die Umrisse der Figur skizziert, die ich im Stein zu erkennen glaubte. Dann hatte ich mich der verborgenen Gestalt so weit genähert, dass ich das Spitzeisen nicht mehr senkrecht ansetzen konnte, sondern den Schlagwinkel ändern musste.
    An so viele Dinge musste ich auf einmal denken: anders als in der Malerei, in der die transparenten Lasuren so leicht übermalt werden konnten. Das Eisen musste auf die Masse des Blocks gerichtet bleiben und den richtigen Winkel haben, sonst zerbarst der Marmor unter meinen Schlägen. Wenn ich zu zaghaft schlug, wehrte sich der Stein, wenn ich zu stark schlug, wurde er umso härter. Also glich ich mich dem Block an: Ich wurde härter. Und unnachgiebiger.
    Die Bildhauerei ist die Kunst der Entfernung alles Überflüssigen. Das Befreien der menschlichen Gestalt aus dem Marmor war wie das Pellen eines Eis. Die oberste Schicht musste vorsichtig angeschlagen und entfernt werden, um das Unsichtbare – die Seele des Steins – nicht zu zerstören.
    Doch zuerst hatte ich mir darüber klar werden müssen, wie ich Ihn darstellen wollte. Auf dem Weg zur Kreuzigung? Gedemütigt und gescheitert? Ich hatte im Evangelium des Johannes nachgeschlagen und Christus auf der Via Dolorosa gezeichnet, stolpernd, stürzend, das schwere Kreuz auf dem gebeugten Rücken. Doch dann hatte ich bei Matthäus gelesen: ›Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig‹. Sprach so ein am Boden liegender, ein an sich und Gott zweifelnder Messias? Ich hatte meine Skizzen zerrissen und von vorne begonnen: Christus unter dem aufgerichteten Kreuz, zum Himmel hinaufblickend. Nach der zehnten Zeichnung war mir immer noch nicht klar gewesen, was Er dort sah: Gott? Sich selbst? Nichts? Ich hatte die Skizzen ins Feuer geworfen.
    Dann hatte ich Christus am Kreuz gezeichnet, so wie ihn alle Künstler vor mir dargestellt hatten: sich windend vor Schmerzen, den Blick vertrauensvoll zum Himmel gerichtet, betend: ›Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun‹. Als ich Gio’s zweifelnden Blick sah, erkannte ich meinen Fehler. Christus hatte ich gezeichnet: den Messias, den Gottessohn, und nicht Jesus, den Menschen.
    Am nächsten Morgen war Gio’ mit einem Tallit, einem jüdischen Gebetsschal, in der Werkstatt erschienen. Wortlos hatte er mir geholfen, die Tefillin, die Gebetsriemen mit den heiligen Thora-Texten, anzulegen. Ich hatte den Tallit tief ins Gesicht gezogen und war ihm zur Synagoge gefolgt. Es war Sabbat.
    Am Sonntag hatte ich Jehoschua gezeichnet, den Sohn der Mirjam, wie er in der Stunde seines Todes das Schma Israel sprach. Und dann schrie: ›Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?‹ Starb Jehoschua in Verzweiflung und im Gefühl der

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