Der Fürst der Skorpione
begraben werden. Sie ließ das Rollerbike zu Boden fallen wie zuvor die überflüssigen Kleider und lief weiter. Täuschte sie sich oder änderte sich die Farbe des Sandes? Er schien auf einmal gelber, so wie sie es von Dünenfotografien kannte. Doch nun kam sie schlechter voran. Gegen Mittag machte sie am Horizont braune Flecken aus. Träge tanzten sie in der flimmernden Luft vor ihren Augen. Das könnte eine Fata Morgana sein, dachte sie. Aber ich gehe trotzdem mal drauf zu. Diese Richtung war schließlich so gut wie jede andere.
Die Pflanzen erinnerten nur noch entfernt an Weizen. Sie waren gut zweieinhalb Meter hoch, die Halme waren fast so dick wie ein kleiner Finger, die Ähren hingen schwer wie Maiskolben von den Fruchtständen ab, und auch die Größe der Körner ließ an Mais denken. Björn kannte den enormen gentechnischen Aufwand, mit dem diese Sorte an die Lebensbedingungen in der Wüste angepasst worden war. Sie kam mit viel weniger Wasser aus als Pflanzen vergleichbarer Größe, ertrug enorme Temperaturschwankungen, war resistent gegen so gut wie alle Fruchtschädlinge, die normalem Weizen den Garaus machten, und konnte im Nu gegen neue Erreger resistent gemacht werden; wenn die Ähren reif waren, fielen sie von selbst in die Sammelbehälter der Erntemaschinen, und die Körner ließen sich so leicht ausdreschen, weil sie daraufhin optimiert worden waren. Der Nährwert des Mehls, das aus den Körnern gewonnen wurde, war sehr hoch. Dieser Weizen war Kraftnahrung für Menschen. In Europa wurde die Ernte mehrfach mit minderwertigem Material gestreckt und taugte dann immer noch für die Supermarktregale. Das waren einmal die Samen von Wildgräsern gewesen, Nahrung für Jäger und Sammler. Jetzt konnte man sie ernten, wo früher nur Wüste gewesen war. Natürlich wurden die Felder gesichert. Fast alle Hindernisse hatten Björn und seine Truppe schon überwunden: den elektrischen Zaun, die Sandbarrieren und die hauchfeinen Netze, die den stärksten Sandstürmen trotzen konnten. Jetzt ging es darum, die Erschütterungssensoren, die überall im Boden verteilt waren, nicht zu einem Alarm zu provozieren. Diese Dinger taugten nicht viel, ihre Meldungen waren unzuverlässig, zu oft gaben sie Fehlalarm, hielten Tiere oder sogar die Schwingungen der Bewässerungspumpen für böswillige Eindringlinge, deswegen ignorierte die EF das Sensornetz bis zu einem gewissen Grad, aber Björn wollte keinem Streber unter seinen ehemaligen Kollegen die Möglichkeit geben, sich ein wenig zu profilieren. Vorsichtig bewegte er sich mit seiner Kampfgruppe zwischen den Halmen hindurch. Das Getreide raschelte in einem leichten Wind, aber es war sehr heiß, nur der Schatten, den die Pflanzen spendeten, bewahrte den Boden vor sofortiger Austrocknung. Weil unten von dem ausgeklügelten Bewässerungssystem immer Wasser nachgeliefert wurde, erinnerte das Klima zwischen den Halmen fast an einen Urwald. Björn dachte an Übungsträume der Armee aus vergangenen Buschkriegen, vor allem die Vietnamdokumentationen waren in der EF immer sehr beliebt gewesen. Die Männer hielten absolute Funkstille. Die Minen wurden in einem grob wabenförmigen Muster verteilt, Björn legte die Dinger auf dem Boden ab und sah zu, wie sie sich mit rotierenden Bewegungen selbst eingruben und mit Erde bedeckten. Er hatte keine Angst mehr vor ihnen, ganz im Gegenteil, er war stolz auf sie. Sie würden eine Menge Käfer und Erntemaschinen vernichten. Sie würden der Albtraum der EF werden.
Der Hauptteil der Gruppe zog sich schon zurück, nur die letzten beiden Kämpfer waren mit der Verteilung ihrer Minen noch nicht fertig geworden. Der sabotierte Elektrozaun war keine zehn Meter entfernt und die Fahrer der Wüstenbuggys hielten sich sicher schon für den Abmarsch bereit. Da spürte Björn plötzlich ein Beben. Die anderen hatten es wohl gar nicht mitbekommen, aber ihm sträubten sich die Nackenhaare, und seine alte Schnittstelle begann zu schmerzen. Über seinem Kopf schwankten die Ähren im heißen Blau des Himmels. Er schloss die Augen. Da war es wieder, jetzt schon ein bisschen stärker. Ja, der Boden bebte jetzt in regelmäßigen Abständen und die Stärke der Erschütterung nahm immer weiter zu. Es konnte keinen Zweifel geben: Käfer der EF kamen auf sie zu.
Tapfer kämpfte sie gegen den Durst an. Sie hatte vielleicht noch drei Liter Wasser. Das war alles, was sie vom sicheren Tod trennte. Die Gebilde, die sie vorher am Horizont gesehen hatte, erwiesen sich als
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