Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Silberpfeil erlegen?“
„Geht dich das etwas an?“
„Sicher, grundsätzlich kann es mir gleich sein. Allerdings ist diese Art der Jagd ungewöhnlich. Für eine Lamia.“
Wortlos hob sie das Kinn. Von oben bis unten maß sie ihn ab, verzog eine Augenbraue und mimte die Überlegene. Er sog hörbar ihren Duft ein. In seinen Tonfall schlich sich die Melodie eines geübten Schmeichlers, doch sein Blick blieb kalt.
„Du bist noch sehr jung. Vielleicht hat dir niemand gesagt, wie nahrhaft das Blut eines Werwolfs ist und wie überaus köstlich es sein kann, gerade diesen Feind in Ekstase zu versetzen, bevor er den Todesbiss erhält.“
Berenike blieb stumm, konzentrierte sich auf ihren Puls und zwang ihn zu einem ruhigeren Schlag. Sollte der Vampir herausfinden, dass ihr Gift fehlte, war sie verloren. Ein eisblauer Funke zündete in seinen Augen. Er machte den nächsten Schritt auf sie zu und schnalzte abschätzig mit der Zunge.
„Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Juvenal de Garou sich von einer Lamia betören lässt. Zumal er derzeit andere Sorgen hat.“
Berenike warf einen knappen Blick aus den Augenwinkeln zur Terrasse. Jener Werwolf war Juvenal de Garou gewesen? Da sie sich beobachtet wusste, zwang sie sich zu einer unbeteiligten Miene, obwohl das Rumoren in ihrem Magen zu einem Anfall von Übelkeit wurde. Der Vampir schmunzelte. Er war ihr so nah, dass er lediglich den Arm strecken musste, um sie zu berühren. Ein Zurückweichen würde ihre Schwäche verraten.
„Offensichtlich bin ich dir an Wissen voraus“, spöttelte er leichthin. „Ja, du hattest das Oberhaupt der Garou vor deinem Visier. Schade, dass du nicht abgedrückt hast. Heute Nacht ist er blind für Gefahren. Schon morgen wird er seinen traurigen Verlust verdaut haben und seine Wachsamkeit zurückerlangen. Es war eine einmalige Chance.“
Sofern von einer Chance die Rede sein konnte. Juvenal de Garou war ein Synonym für Tod. Er galt als heimlicher Fürstder Werwölfe und besaß nicht nur ein, sondern mehrere Rudel in ganz Spanien verteilt. Sollte er von ihrer Anwesenheit in London erfahren, würde er umgehend die Jagd auf sie eröffnen. Immerhin hatte der Vampir soeben den Tod seines Sohnes Gilian angedeutet. Welcher andere traurige Verlust konnte Juvenal nach England führen?
„Du hast Gilian de Garou getötet“, zischte sie leise.
Seine schneeweiße Hand zog Wirbel durch die Luft. „Sagen wir, er wurde das Opfer seiner Unachtsamkeit. Und ich bin hier, um mich zu überzeugen, dass er ein totes Opfer ist. Wie dem auch sei, sein Revier steht zur Disposition. Da ich vor dir hier war, ist mein Anspruch auf London größer. Übrigens, ich vergaß, mich vorzustellen. Ich bin Branwyn. Und dein holder Name ist?“
„Berenike.“
Er legte die Stirn in Falten. So tief er auch in seinem Gedächtnis schürfte, ihren Namen würde er vergeblich suchen. Vierunddreißig Jahre hatte Selene ihre Existenz verheimlicht. Angesichts ihres Gegenübers erkannte sie den Grund für diese Vorsichtsmaßnahme. Selene hatte sie dem Zugriff der Vampire entziehen wollen. Weil sie jung war und unerfahren. Verletzlich jung, ohne den Schutz ihrer Mutter. Sie musste Branwyn um jeden Preis loswerden.
„Berenike aus welchem Stamm?“, bohrte er nach.
„Der Mechalath. Ich bin die Tochter von Selene.“
Sie musste es offenbaren. Selene war weit fort, aber ihr Name und Einfluss reichten über die Grenzen von Rom hinaus. Den Lamia war sie ein Vorbild, den Vampiren ein Schrecken. Tatsächlich wich Branwyn bei der Erwähnung der ältesten Lamia des alten Volkes einige Schritte zurück.
„Dann bist du die Schwester des Goldenen. Seltsame Kunde geht über unseren Großmeister um. Ein Bündnis mit den Garou hat er geschlossen, und Selene soll eine ähnliche Abmachung mit den roten Wölfen zu Rom eingegangen sein.“
„Und weiter?“
Branwyn ließ einen seiner schmalen Zöpfe durch die Finger gleiten. Belustigung und Berechnung schimmerten im Eisblau seiner Augen. „Ah, verstehe. Dir sagen diese Abmachungen nicht zu. Sonst würdest du kaum mit einer Armbrust hier stehen. Wir könnten unser eigenes Arrangement treffen. Ich helfe dir, Juvenal de Garou zu erledigen, und du …“
Eine Absprache mit Branwyn fehlte noch zu ihrem Unglück. Wie jeder Vampir hegte er einen starken Wunsch nach reinblütigen Nachkommen. Einzig die Angst vor dem Gift der Lamia hinderte ihn, diese Sehnsucht zu erfüllen. Sobald er herausfand, woran es Berenike mangelte,
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