Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Kopfsteinpflaster aufzusteigen, ausgeatmet von feuchtem Stein.
„Das ist nur Nebel“, knurrte er gereizt.
„Aber wo kommt der so plötzlich her?“, wurde eine alarmierte Frage laut.
Wie so oft in letzter Zeit drohte Gilian in Raserei zu verfallen. Für einen Herzschlag wurden Gasse und Hauswände in dunkles Purpurrot getaucht und er musste an sich halten, um seine Weißglut nicht an demjenigen auszulassen, der die Frage gestellt hatte. Sein harscher Befehl verwischte zu einem anhaltenden Knurrlaut. „Schließt euch zusammen und haltet die Waffen bereit. Egal, was geschieht, ihr haltet stand.“
Langsam ging er voran. Undurchdringliches Grau wallte an den Hauswänden empor, als wollte es ihnen den Weg versperren. Die Unruhe in seinem Rücken nahm zu. Der Instinkt der Wölfe schlug in seinen Männern an und zwang sie zu übergroßer Vorsicht. Selbst Gilian war der Nebel nicht geheuer. Er hob die Stimme. „Shelley!“
Sein Ruf nach dem Anführer des anderen Trupps blieb unbeantwortet. Wo war sein Rudel? Was konnte ihnen zugestoßen sein? Seine Gedanken rasten. Über zwanzig Männer waren es. Vielleicht war Branwyn durch ihre Reihen gebrochen und sie hatten die Verfolgung aufgenommen, aber in diesem Fall hätte Shelley einen Boten geschickt. Wieder rief er nach ihm und wieder blieb alles ruhig. An der Barriere des Nebels schienen die Rufe abzuprallen.
„Wir sollten uns zurückziehen und auf eine bessere Gelegenheit warten, Mylord“, schlug Shylock vor. „Heute Nacht hat der Vampir einfach Glück gehabt.“
Bisher hatte Branwyn immer Glück gehabt. Dieser gottverfluchte Nebel! Reglos türmten sich die Schwaden vor ihm auf. Angesichts der Wand aus hellem Grau erinnerte sich Gilian an die Warnung seines Bruders Cassian. Die Botschaft war mit einer Brieftaube gekommen.
Eine Lamia ist auf dem Weg zu Dir. Obwohl sie das Gift ihrer Fänge verloren hat, bleibt sie gefährlich. Sie ist Micas Schwester. Setze sie fest, wenn Du kannst. Töte sie, wenn es keinen anderen Ausweg gibt
.
Er hatte die Warnung zur Kenntnis genommen, beiseitegelegt – und vergessen. Eine Lamia, gleichgültig, woher sie kam oder was sie wollte, war ohne Belang. Sein Denken und Handeln war ausschließlich auf Branwyn und seine Rache gerichtet. Nachdem er das Wallen der Schwaden auf sich wirken lassen hatte, verwarf er den Gedanken, eine Lamia könnte diesen Wetterumschwung ausgelöst haben. Die mörderischen Nachtgeschöpfe konnten keinen Nebel heraufbeschwören. Es musste ein natürliches, wenn auch ungewöhnliches Phänomen sein, das der Vampir für sich genutzt hatte. Branwyn war getürmt. Ein Funke seiner einstigen kalten Vernunft zündete in Gilian. Er vergeudete seine Zeit und verwirrte seine Männer. Schon wollte er den Rückzug befehlen, als ihn eine Stimme aus dem Grau aufhielt.
„Kann mich jemand hören? Bitte, ich brauche Hilfe. Steht mir bei.“
Gilian fuhr zusammen. Die Stimme war ihm vertraut. Vor vielen Monaten hatte er sie zuletzt gehört. Schulter an Schulter verharrten seine Männer hinter ihm. Pistolenhähne schnappten zurück. An ihm vorbei zielten sie auf die wogenden Nebelschwaden. Eine Silhouette löste sich.
„Dorothy?“, flüsterte Gilian.
Flehend streckte sie ihre Arme nach ihm. „So helft mir doch.“
„Waffen runter.“
„Mylord!“, begehrte Shylock auf.
„Senkt die Waffen!“, brüllte Gilian.
Sein Aufschrei hallte durch die Gasse und verklang. Der Nebel hob sich und gab die Frau frei. Dorothy! Aus ihren Ärmeln rann Wasser, das lange Haar klebte an ihrem Kopf, es gab keinen Zweifel. Sie war es. Ihr Mund, ihre Augen, ihre Nase. Außerstande sich zu bewegen, stierte er sie an. Es konnte nicht sein. Dorothy war tot. Er hatte an ihrem Grab gestanden.
„Rette mich“, hauchte sie.
Unmöglich, sich ihrem Flehen zu verschließen. Seit er aus Paris zurückgekehrt war, hatte er alles versucht, um sie zu retten. Wieder und wieder, während sie von Liebe gesprochen hatte. Keineswegs zu ihm, sondern zu Branwyn, der ihr Blut geraubt hatte, dem sie verfallen war. Gegen die Einflüsterungen eines Vampirs war er machtlos gewesen. Doch nun stand sie vor ihm, seine große Liebe. Ihr Grab musste leer, ihr Tod eine letzte Lüge gewesen sein.
„Haltet ihn auf“, donnerte Shylock.
Kein Rudelwolf folgte dem Befehl des Beta, solange der Alphawolf zugegen war. Sie alle waren dem Mann ergeben, der sie durch seinen Biss zu Wölfen gemacht hatte. Selbst Shylock scheute bei aller Entschlossenheit davor zurück, ihm
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