Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Verrat an allem, woran sie einst geglaubt hatten.
„Nike, unsere Natur spricht dagegen. Auf Dauer würden wir die Schlachten unserer Völker fortsetzen und uns bis aufs Blut bekämpfen. Du bist eine Lamia, ich ein Werwolf. Wir sind nicht füreinander bestimmt.“
Ihre Augen wurden feucht. Echte Tränen waren es anstelle der winzigen Diamantsplitter, die das alte Volk weinte, sofern es überhaupt einmal weinte. Es gab nur wenige, die das Geheimnis um ihre Tränen kannten. Vielleicht war sie den Sterblichen tatsächlich ein Stück näher gerückt.
„Davon bist du überzeugt, weil ich in deinen Arm gebissen habe.“
Sie klang schuldbewusst.
„Nein.“
Eine Träne glitzerte auf ihrer Wange. Ehe er sich versah, wischte er sie mit dem Daumen fort, zeichnete den Bogen ihres Wangenknochens nach. Sie legte die Hand über seine Finger.
„Ich verstehe dich. Du bist das Oberhaupt einer Werwolfsippe. Alle würden mit dem Finger auf dich deuten, auf ihren heimlichen Fürsten, der eine Lamia erwählte. Niemand wird glauben, dass ich mich verändert habe. Du würdest deinen Ruf schädigen.“
„Ich bin kein Fürst und was immer andere über mich behaupten, ist mir gleichgültig. Wir müssen vernünftig sein, Nike. Zu unserer beider Wohl. Es kann nicht gut gehen. Selbst eine große Liebe kann nicht alles überwinden.“
Er sprach aus Erfahrung. Krampfhaft suchte er nach den richtigen Worten, um es ihr zu erklären. Ihr Mund öffnete sich leicht. Ihre Lippen waren so weich und verletzlich. War er an sie herangerückt oder kam sie auf ihn zu? Er wusste es nicht. Es schien ein Sog, der sie aufeinanderprallen ließ. Sein Mund teilte den ihren, während er sich noch fragte, wie es geschehen konnte. Eine schmale, feuchte Zunge schnellte vor, und mit ihr kam der berauschende Geschmack von Nektar. Jede Vernunft vergessend schlang er die Arme um sie. Ihr Kuss war tief. Umso intensiver, da er einer verbotenen Leidenschaft nachgab. Noch einmal wollte er sie schmecken. Ein letztes Mal in sie eintauchen und alles andere darüber vergessen. Auch wenn er damit Verrat an seiner toten Gefährtin beging. Ein kalter Guss brach über ihn herein, als ihm bewusst wurde, dass er gleichzeitig Berenike verriet. Es konnte niemals zu einem guten Ende führen. Sie erhoffte und verdiente so viel mehr. Abrupt riss er den Kopf zurück und atmete tief ein.
„Nein.“
Als er die Hände um ihre Taille legte, um sie von sich hinunterzuheben, spannten sich ihre Schenkel um seine Hüften. Sie umfasste sein Gesicht.
„Nike, wir müssen damit aufhören.“
Zwischen ihren Schenkeln pulsierte sein Schwanz. Sie blinzelte auf ihn herab. Ihre Pupillen schnellten auf, füllten das Braun ihrer Iriden, bis sie schwarz vor Zorn wurden. Es war der Blick eines aggressiven Raubtiers. Abrupt rollte sie von ihm hinunter, sank auf den Rücken und starrte zur Decke. Unter dem dünnen Batist ihres Hemdes wogten ihre Brüste. Schmerzhaft steif ruhte sein Schwanz auf seinem Unterbauch. Er ignorierte seine Erregung, leugnete den drängenden Wunsch, sie erneut an sich zu ziehen. Ein schneller, endgültiger Schnitt war das Beste.
„Die Liebe, nach der du dich sehnst, wirst du bei mir nicht finden. Glaube mir, ich würde dich unglücklich machen“, sagte er und setzte sich auf.
Mit einem gereizten Seitenblick stieg sie aus dem Bett. Das Hemd war aus ihrem Hosenbund gerutscht, und sie stopfte es mit abgehackten Bewegungen zurück. „Es wird nicht wieder vorkommen“, zischte sie.
Die Samtvorhänge flogen auf, und sie glitt so lautlos aus dem Alkoven, wie sie ihn betreten hatte. Sobald er das Klacken der Tür vernahm, schlang er die Arme um seine Mitte und krümmte sich. Es mochte das Beste sein, doch es fühlte sich an, als würde ihm die Haut vom Fleisch gezogen.
An diesen verdammten Werwolf war jede Träne vergeudet. Daher wollte Berenike umgehend aufhören, sich seinetwegen die Augen aus dem Kopf zu heulen. Bekräftigend nickte sie ihrem Spiegelbild zu. Herrje! Ihr Augen waren rot und ihr Gesicht vom Kummer der letzten Tage regelrecht aufgequollen. Jämmerlich! Sie drückte ein Tuch in kaltes Wasser, wrang es aus und legte es über ihr Gesicht. Bis die Schwellung nachließ, blieb mehr Zeit zum Grübeln, als ihr lieb war.
Es war dumm gewesen, zu Juvenal von Liebe zu sprechen. Was wusste ein Krieger schon von Herzensdingen. Seine Prinzipien waren ihm wichtiger. Seit Tagen wich er einer Begegnung aus. Immerhin entging ihm dadurch, wie elend ihr zumute war. Dabei
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