Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Bleich starrte er Berenike an. „Ruben ist dem Zauber einer Hexe erlegen?“ Seine Stimme war nur noch ein Krächzen.
„Ach was, Zauber“, rief Mica betont munter. „Es besteht kein Grund zur Sorge. Sie ist eine …“
Juvenal umfasste die Sessellehnen und fixierte Mica. In seinen Augen stand ein dunkles Feuer. „Zwei meiner Kinder habe ich verloren! Soll ich auch den Untergang eines dritten beklagen? Bei allen Höllenhunden, diese Hexe wird Ruben mit ihrer Magie umbringen!“
„Beruhige dich. Ich kann dir versichern …“
Juvenal schnellte auf. „Ich soll mich beruhigen? Mein Sohn wurde verhext. Ich bin zu alt für diese Scheiße! Ihr wisst davon und habt es mir verhehlt.“
Unter seinem Gebrüll erzitterten die Deckenbalken. Melody schlug die Hände über die Ohren und krümmte sich zusammen. Beschwichtigend hob Berenike die Hand und ging auf ihn zu.
„Juvenal, ich bin absolut sicher, dass Aurora deinen Sohn über alles liebt. Ich habe die beiden zusammen gesehen. Sie stehen zueinander.“
Er schlug unwirsch nach ihrer ausgestreckten Hand und verfehlte sie knapp. Sofort wich sie zurück. Ihre Unterlippe bebte.
„Seit wann sprechen Lamia die Wahrheit?“
Das war genug. „Berenike hat diesen Vorwurf wahrlich nicht verdient“, griff Mica ein.
Juvenal starrte ihn nieder. Seine Kiefer mahlten. Er kehrte sich wortlos ab und marschierte hinaus. Die Tür fiel mit einer Wucht ins Schloss, dass der Rahmen knackte. Stille senkte sich herab. Mica hätte diese Ruhe nach dem Sturm als wohltuend empfunden, wären da nicht die tränenblinden Augen seiner Schwester gewesen. Juvenal war das Unmögliche gelungen. Er hatte eine Lamia bis in die Seele verletzt.
„Nike, was ist vergangene Nacht geschehen?“
„Wen kümmert das schon?“, murmelte sie.
Ihn kümmerte es, aber sie wollte es für sich behalten. Ihr Rückzug erfolgte lautlos. In königlicher Haltung schritt sie hinaus und zog die Tür leise hinter sich zu. Melody hob den Kopf und sah ihn an. Je länger er lächelte, desto fiebriger wurde ihr Blick.
„Komm zu mir, Kleine“, lockte er sie.
Eilfertig folgte sie seiner Bitte. Den Kopf tief gebeugt, die Hände gefaltet, setzte sie sich neben ihn. Ihr Bedürfnis nach vollkommener Unterwerfung ließ sie erzittern, als er den Arm um ihre Schultern legte. Das Blut einer Rudelwölfin würde seine Heilung vorantreiben und die Narbe verblassen lassen. Wenig sanft grub er seine Fänge in die zarte Haut ihres Halses. Während er in kleinen Schlucken von ihr trank, erfüllte er ihre Sehnsucht und knetete ungnädig hart ihre vollen Brüste. Ihr Blut nahm den vollmundigen Geschmack der Ekstase an.
Nachdem die schweren Samtvorhänge zugezogen waren, ähnelte der Bettalkoven einer dunklen Höhle. Abgeschottet von der Außenwelt kroch Juvenal unter das Laken und streckte sich aus. Hinter seiner Stirn saß ein bohrender Schmerz, der bis in seine Schläfen ausstrahlte. Auf seiner Sippe musste ein Fluch liegen, anders konnte er sich nicht erklären, weshalb ein Unglück das nächste jagte. Mit Alba hatte es begonnen. Seine vor Lebenslust sprühende Tochter war der Bestie erlegen, und er war sowohl unfähig gewesen, sie zu erschießen als auch ihr beizustehen. Wenig später war Sorscha an ihrem Kummer zugrunde gegangen und gestorben. Es hatte sie stärker zum Tod hingezogen als zu einem Leben mit ihrem Gefährten. Auch an ihr hatte er versagt. Es hatte ihn aus der Auvergne nach Paris und später in den Süden Spaniens verschlagen. Ein neues Leben hatte er beginnen wollen, frei von Schuldgefühlen. Ein sinnloses Unterfangen, wie sich schnell herausgestellt hatte.
Cassian war Florine begegnet. Ausgerechnet der sterblichen Tochter des Großmeisters der Vampire hatte der Junge sein Herz geschenkt. Eine Frau, die in einem Bordell aufgewachsen war, als ob es in Paris nicht von jungen Damen wimmelte, die neben Schönheit auch einen tadellosen Ruf besaßen. Immerhin war Cassian vom Weiberheld zum Familienvater geworden und fühlte sich wohl in dieser Rolle. Fest rieb Juvenal über sein Gesicht. Er war Großvater eines kleinen Mädchens, und bald würde ein weiteres Kind geboren werden – in beiden vereinte sich, was nicht vereinbar war: das Blut eines Werwolfgeschlechts mit dem des Goldenen.
Letztendlich war dieser Fakt leichter zu ertragen als Gilians viel zu früher Tod. Vielleicht hatte Gilian ihn selbst gesucht in dem Bewusstsein, dass sein Wahnsinn zunahm. Nach dem Erlebnis im Haus an der Curzon Street war er nahezu
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