Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Anflug von Melancholie huschte über sein Gesicht. „Geschweige denn, dass sie mich bewunderte oder sich nach der Ewigkeit sehnte, die ich ihr schenken wollte.“
„Was macht dich so sicher?“
„Immer wieder hat sie das Geschenk meines Blutes abgelehnt. Marie war ein wundervolles, seltenes Menschenkind. Mit einem Herzen so groß, dass die Welt hineinstürzen konnte. Eine Heldin in der Kleidung einer Schafhirtin. Eine Sonne, die meine Nächte erhellte.“ Er lachte auf und berührte seine Stirn. „Zum ersten Mal begegnete ich ihr auf freiem Feld mitten unter ihren Schafen. Sie warf ein Holzscheit nach mir und traf meine Stirn.“
Glucksend hielt Berenike sich die Hand vor den Mund. „Wie konnte ihr das gelingen?“
„Nun ja, sieh mich an. Wem würde es schon einfallen, einem solchen Antlitz mit einem Holzscheit beizukommen, anstatt mit offenen Armen. Mit diesem Empfang hatte ich bei einer jungen Maid nicht gerechnet und so ist es passiert. Sie teilte mir mit, dass sie ihre Schafe und ihre Tugend verteidigen würde. Zur Not mit Gewalt. So lernte ich sie kennen, an einem Feuer auf einem Feld abseits ihres Dorfes.“ Sein Lächeln wich. „Eine volle Woche blieb ich dort, und als ich schließlich fortging, ließ sie alles zurück und folgte mir. Ich war ihr um Stunden voraus, doch sie wusste, dass ich nach Paris zurückkehren wollte. Zwei Abende später erwachte ich in einer Gruft und da lag sie an meiner Seite, den Kopf auf meiner Brust. Sie wusste alles, Nike. Sie wusste, was ich war und was ihr zustoßen konnte und legte sich ungeachtet dessen zu mir. Sie wollte bei mir sein, selbst in einer Gruft, in der sie umgeben von Toten an meiner Seite blieb, bis ich erwachte. Und tatsächlich wollte ich genau dasselbe.“
Für einen Vampir, der von Romantik nur so viel hielt, wie sie ihm nützlich sein konnte, klang das überaus anrührend. Undsie war in exakt der richtigen Verfassung, dass sie hätte losheulen können, so schön war es. Mica streichelte über ihre Wange.
„Wenn es Liebe ist, weißt du es. Gleichgültig, wem sie gilt. So ergeht es allen, seien es Sterbliche, Werwölfe oder das alte Volk. Manchmal ist es klüger, auf sie zu verzichten. Das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann.“
Lamia und Verzicht fügten sich nur selten zusammen. Gleichwohl wäre sie dazu bereit. Berenike hätte auf ihre Fänge, ihre Nachtsicht und den Rest ihrer verbliebenen Fähigkeiten verzichtet, auf schlichtweg alles, um Juvenal zu gewinnen. Vielleicht würde er sie dann seiner Liebe für wert befinden.
„Hast du es jemals bereut? Ich meine, letztendlich hast du sie verloren.“
„Sie ist vor ihrer Zeit und auf grausame Weise von mir gegangen, aber selbst in der dunkelsten Stunde, als ich sie von den Namenlosen gerissen fand, kannte ich keine Reue. Sie schenkte mir drei der glücklichsten Jahre meines Daseins und ein Kind.“
Ihre Wissbegier hatte eine alte Wunde aufgerissen. Berenike gewahrte es am Schimmer seiner Augen und den schmal gewordenen Lippen. Sanft küsste sie ihn auf die Wange und verließ ihn, um in der Halle auf Grishan zu warten.
Auf ihrem Weg durch die Londoner Außenbezirke ruhten Grishans Hände an den Dolchen. Er war erpicht darauf, die Waffen einzusetzen. Obwohl er sich um Gelassenheit bemühte, war seine Aufregung deutlich spürbar. Unter dem tief ins Gesicht gezogenen Dreispitz leuchteten seine Augen. Er war unglaublich jung und gleichzeitig von wildem Mut und der Entschlossenheit erfüllt, sich zu beweisen.
„Wo liegt deine Heimat, Miezekater?“
Er antwortete mit einer Gegenfrage. „Weshalb nennst du mich immerzu Miezekater?“
„Weil du es bist. Allerdings würde ich gern wissen, ob du ein eher kleiner oder ein großer Miezekater bist.“
Es gab Momente, da besaß er die Mimik eines aufgeweckten Jünglings, und dann wieder zeigte sich die Reife eines erwachsenen Mannes. Jetzt grinste er wie ein Kindskopf.
„Ich bin immerhin größer als ein Ozelot.“
Geheimniskrämerei lag allen Raubkatzen im Blut. Er wollte nicht offenbaren, was er war. Aber wenn sie herausfand, woher er kam, könnte sie es vielleicht erraten. Spielerisch knuffte sie ihn in die Seite.
„Jetzt verrat mir schon, woher du kommst.“
Seine Augen schweiften über die weit auseinanderliegenden Häuser und die breite Straße in die Ferne, als könnte er am Ende des Horizonts seine Heimat sehen. Berenike folgte seinem Blick, obwohl es einzig einige Kutschen, Sänften und Reiter zu sehen gab, vor denen sie hin
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