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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Es ist, als ob sie sich bewegt hätten. Der Film hat das alles anders gezeigt, als ich es gesehen habe.«
Alicia schaute Roland an, der wie gebannt das Spiel der Flammen im Lagerfeuer betrachtete.
»Roland, hat dir dein Großvater nie von all dem erzählt?«
Der Junge schien die Frage nicht gehört zu haben. Alicia legte ihre Hand auf die von Roland, und dieser hob den Blick.
»Ich träume seit Jahren jeden Sommer von diesem Clown«, sagte er mit dünner Stimme.
Max las die Angst im Gesicht seines Freundes.
»Ich glaube, wir müssen mit deinem Großvater sprechen, Roland«, sagte Max.
Roland nickte schwach.
»Morgen«, versprach er mit einer fast unhörbaren Stimme, »morgen.«
Kapitel 8
    K urz vor Tagesanbruch stieg Roland wieder auf sein Fahrrad und radelte zurück zum Leuchtturmhaus. Während er die Straße am Strand entlangfuhr, begann ein blasser, bernsteinfarbener Glanz die tiefliegenden Wolken zu färben. Er brannte vor Unruhe und Aufregung und beschleunigte seine Fahrt bis an die Grenze seiner Kräfte, in der vergeblichen Hoffnung, daß die körperliche Anstrengung die tausend unbeantworteten Fragen und Ängste beruhigen würde, die ihn quälten.
    Als er die Bucht des Hafens umfahren und den steil ansteigenden Weg hinauf zum Leuchtturm eingeschlagen hatte, hielt Roland das Fahrrad an und schöpfte Atem. Oben auf der Felsküste durchschnitt der Strahl des Leuchtfeuers die letzten Schatten der Nacht wie ein Messer aus Feuer. Er wußte, daß sein Großvater noch dort war, wartend und schweigend. Er würde seinen Posten nicht verlassen, ehe die Dunkelheit nicht völlig verschwunden wäre. Jahrelang hatte Roland diese Besessenheit des Alten miterlebt, doch er hatte sich nie nach dem Beweggrund für dieses Verhalten gefragt. Es war einfach etwas, an das er von klein auf gewöhnt war, eine Facette seines täglichen Lebens, die er nicht weiter wichtig genommen hatte.
    Trotzdem war Roland mit der Zeit bewußt geworden, daß es blinde Flecken in der Geschichte des Alten gab. Aber bis zum heutigen Tag hatte er niemals so deutlich begriffen, daß sein Großvater ihn belogen hatte oder daß er ihm zumindest nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Noch immer zweifelte er nicht einen Moment lang an der Ehrbarkeit des alten Mannes. Immerhin hatte ihm sein Großvater im Lauf der Jahre allmählich Stück für Stück die Teile dieses seltsamen Puzzlespiels aufgedeckt, dessen Mittelpunkt jetzt so klar schien: der Skulpturengarten. Manchmal durch Wörter, die er im Schlaf sprach; meistens aber durch unvollständige Antworten auf die Fragen, die Roland ihm stellte. Auf irgendeine Weise ahnte er, daß sein Großvater ihn am Rand seines Geheimnisses gehalten hatte, um ihn zu schützen. Doch dieser begnadete Zustand schien nun sein Ende zu erreichen. Die Stunde, in der Roland der Wahrheit entgegentreten würde, rückte immer näher.
    Er nahm erneut die Fahrt auf und versuchte, die düsteren Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Er war schon viel zu lange wach gewesen, und er fing an, müde zu werden. Sobald er bei dem Leuchtturmhaus angekommen war, lehnte er das Fahrrad gegen den Zaun und betrat das Haus, ohne das Licht anzuschalten. Er stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und ließ sich wie tot auf das Bett fallen. Durch das Fenster konnte er den Leuchtturm sehen, der sich ungefähr dreißig Meter vom Haus entfernt erhob. Die unbewegliche Silhouette seines Großvaters hob sich hinter den Glasscheiben des Aussichtsturms scharf ab. Roland schloß die Augen und versuchte einzuschlafen.
    Die Ereignisse dieses Tages zogen im Geist an ihm vorüber, vom Abstieg in die Tiefe des Meeres zur Orpheus bis zum Unfall der kleinen Schwester von Alicia und Max. Er fand es sonderbar und zugleich tröstlich festzustellen, wie nur wenige gemeinsam verbrachte Stunden sie so sehr hatten vereinen können. Wenn er jetzt, in der Einsamkeit seines Zimmers, an die beiden Geschwister dachte, fühlte er, daß sie von diesem Tag an seine beiden engsten Freunde waren, die beiden Gefährten, mit denen er all seine Geheimnisse und Sorgen teilen würde.
    Allmählich wurde Rolands Müdigkeit stärker als die Aufregung, die sich im Verlauf des Tages in ihm aufgestaut hatte. Während er in einen tiefen und stärkenden Schlaf hinabstieg, galten seine letzten Gedanken weder der geheimnisvollen Ungewißheit, die über ihnen schwebte, noch der düsteren Aussicht, im Herbst einberufen zu werden. Ruhig schlief er ein, in den Armen eines Traumbildes, das ihn für den

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