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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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zu ihm und neigte den Kopf »Nun ja, die Rundung und der Querbalken dort unten rechts – das könnte ein großes Q gewesen sein.«
    »Ja, tatsächlich«, bestätigte Tobias. »Aber was sollte das?«
    Heine überlegte. »Der Buchstabe Q steht im Lateinischen für ›Quintus‹. Das heißt übersetzt ›Fünf. Vielleicht ein Hinweis auf die fünf Männer des inneren Zirkels?«
    Tobias schüttelte den Kopf. »›Quintus‹ bedeutet genau genommen ›der fünfte‹. Die richtige Übersetzung für ›Fünf‹ ist ›Quinque‹.«
    Angesichts des Taubendrecks schürzte der Dichter die Lippen und blickte sich angeekelt um. »Wie dem auch sei, dieser Raum sieht mir ehrlich gesagt nicht gerade wie ein Tempel aus.«
    »Trotzdem hat das hier bestimmt nicht ohne Grund gestanden.« Tobias sah sich nun noch genauer um. Sein Blick blieb an der Zwischenwand gegenüber dem geschwungenen Fenster hängen. Knapp unterhalb der Balkendecke war in ihren Ziegelverband ein Sturz aus Hausteinen eingesetzt worden. Er trat näher und entdeckte darauf eingemeißelt einen Schriftzug: Nosce teipsum!
    Schon wieder. Aufgeregt winkte er Heine. »Sehen Sie sich das an!«
    Erst jetzt entdeckte er den rostigen Nagel, der eine Handspann unter der Schrift aus dem Mauerwerk ragte.
    »Was mag an diesem Nagel gehangen haben?«
    Der Dichter musterte spöttisch die Wand. »Erkenne dich selbst! Wer weiß, vielleicht ein Spiegel«, flachste er.
    Ein Spiegel. Tobias schüttelte den Kopf. Im Gegensatz zu dem Dichter war ihm nicht zum Lachen zumute.
    Ein Spiegel? Überrascht schaute er noch einmal hin und trat dann einen Schritt zurück.
    »Womöglich haben Sie recht …«, murmelte er. Was mochte ein Betrachter in dem Spiegel erkennen? Sich selbst und …
    »Warten Sie!«
    Heine, der sich schon wieder der Tür zuwandte, drehte sich jetzt ungeduldig um. »Was ist? Das Haus ist völlig leer.«
    »Ich möchte etwas überprüfen. Bitte stellen Sie sich dorthin«, bat ihn Tobias und schob ihn sanft zwischen Wand und Fenster. Heine starrte den Taubendreck auf dem Boden angewidert an, während sich Tobias dort an die Wand stellte, wo vielleicht einmal ein Spiegel gehangen hatte. Und es war so, wie er vermutete! Er sah den Dichter und dahinter das Fenster, dessen geschwungene Konturen die Gestalt wie einen Rahmen umgaben.
    Tobias eilte an Heine vorbei und untersuchte die Fensteröffnung ein weiteres Mal. Der Rahmen starrte vor Schmutz, doch nachdem er ihn abgewischt hatte, entdeckte er im Holz sechs umlaufende Einkerbungen in Gestalt von Pfeilen. Sie wiesen nach innen, auf das Q der ehemaligen Scheibe. Über den Pfeilen waren kleine römische Ziffern angebracht, gleich darunter Nummern in deutscher Schrift.
    »Sehen Sie doch, hier!« Aufgeregt wies Tobias Heine auf seine Entdeckung hin. Dieser gab einen Laut des Erstaunens von sich. »Nicht schlecht, mein junger Freund. Nicht schlecht. Aber was sollen uns diese Pfeile und Zahlen sagen?«
    »Lassen Sie mich nachdenken.« Tobias trat zurück, faltete die Hände vor der Nase und musterte prüfend den Fensterrahmen. »Erkenne dich selbst!« flüsterte er. Und dann noch einmal: »Erkenne dich selbst! In einem Spiegel sieht man sich selbst. Hier aber sieht man um sich herum den Fensterrahmen. Fast wie ein Gemälde. Die Pfeile hingegen weisen auf das Q in der Fenstermitte. Nein, einen Augenblick! ›Erkenne dich selbst.‹ Streng genommen weisen sie auf einen selbst. Auf bestimmte Körperteile!«
    Überrascht hob Heine eine Augenbraue. »Ich gestehe, mein junger Freund, die Angelegenheit erweckt zunehmend mein Interesse. Sollten Sie mit Ihrer Hypothese richtig liegen – was halten Sie davon, wenn ich sie erweitere? Wenn die Pfeile tatsächlich auf Körperteile weisen, dann muss man das vielleicht wörtlich nehmen. Deswegen auch die Ziffern über den Pfeilen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ein Silbenrätsel«, erklärte Heine, zufrieden mit sich selbst. »Das Ganze erinnert mich an eine Geheimschrift, mit der meine Freunde und ich uns als Kinder Botschaften schickten. Zur Verschlüsselung verwendeten wir die gleiche Ausgabe eines Stücks von Schiller. Jeder Buchstabe eines Worts wurde durch drei Zahlen verschlüsselt. Die erste Zahl benannte die Seite des Buchs, die zweite die entsprechend Zeile und die dritte den Buchstaben im Satz, den wir meinten. Vielleicht ist das Prinzip hier das gleiche? Sehen Sie, wir müssen uns nur fragen, auf welchen Körperteil der Pfeil weist. Die Zahlen unter den Pfeilen beziehen sich vielleicht

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