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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Finden Sie sich damit ab: Der Stein ist verloren.«
    »Heißt das, Sie wollen aufgeben?« Tobias starrte Heine entsetzt an. Soeben wurde ihm bewusst, dass er am Ende seines Wegs angelangt war. Die Folgen wagte er sich nicht auszumalen.
    »Nein, davon kann keine Rede sein«, erklärte der Dichter mit Nachdruck. »Sie haben recht. Es ist unsere moralische Pflicht, diesen Mörder aufzuspüren. Nur bin ich der Ansicht, dass wir besser handfesten Spuren folgen, als diesem Humbug zuviel Bedeutung beizumessen. Schon vergessen?« Er nestelte an seiner Westentasche und zog ein gefaltetes Papier hervor. Es handelte sich um die Seite mit der Notiz aus der Ledermappe, die sie in der Tasche des Kahlköpfigen gefunden hatten.
    Tobias starrte auf die krakelige Schrift: Buten Kayen, Hammonia, 5. Mai, L. 333 – 341. Er hatte den Fund tatsächlich ganz vergessen.
    »Ich glaube kaum, dass die Notiz von dem Kahlköpfigen selbst stammt«, murmelte er.
    »Da pflichte ich Ihnen bei«, antwortete Heine. »In der Tasche befanden sich allerdings auch noch ein Brecheisen und ein Dietrichbesteck. Ich wette daher mit Ihnen um zehn Schilling, dass dieser Kretin gerade von einem Einbruch zurückkam, als er Sie und Ihre Begleiterin im Keller der Abdeckerei überrumpelte.«
    Tobias sah überrascht auf. »Also hatte er die Mappe kurz zuvor gestohlen? Warum?«
    Heine hob die Augenbrauen. »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber ich setze noch einmal zehn Schilling, dass mit Hammonia ein Schiff gemeint ist. Daher sollten wir uns fragen, welche Ladung es an Bord hat und wofür diese bestimmt ist. Lassen Sie uns also zur Hafenmeisterei aufbrechen, um der Sache auf den Grund zu gehen.«
    Tobias nickte – und schüttelte dann den Kopf. »Zuvor muss ich nach der jungen Dame sehen, die wir im Keller zurückgelassen haben. Ich komme schon fast um vor Sorge um sie.«
    »Gut, ich kann Sie verstehen.« Heine nickte. »Die nötigen Erkundigungen kann ich auch allein einholen. Ich schlage vor, wir treffen uns um zehn Uhr heute Abend vor dem Baumhaus. Einverstanden?«
    Tobias zuckte resigniert die Achseln. »Ich wüsste auch nicht, wohin ich sonst gehen sollte.«

 

Der Schlachtruf
     
    Hamburg 1842, 4. Mai,
    19 Minuten vor 6 Uhr am Abend
     
    »Stadt Hamburg, an der Elbe Auen,
    Wie bist du stattlich anzuschauen!
    Mit deinen Türmen hoch und hehr
    Hebst du dich schön und herrlich sehr.
    Heil über dir, Hammonia!
    Hammonia,
    Oh, wie so herrlich stehst du da …!«
     
    T obias wartete missmutig vor einer großen gotischen Kirche und lauschte dem Gesang eines Chors, der gedämpft aus dem Innern zu ihm nach außen drang. Er stand vor dem wuchtigen Eingangsportal des Gotteshauses und starrte müde zu dem imposanten Glockenturm hinauf. Weit ragte er über ihm zum Himmel empor, wo sich in diesem Augenblick ein flatternder Schwarm Tauben auf dem Kirchendach niederließ.
    Seufzend wandte er sich wieder um und ließ den Blick über den Marktplatz vor der Glaubensstätte schweifen. Eine Unmenge Menschen bevölkerte ihn. Er sah Fleischerhallen, in die Schlachtergesellen große Schinken schleppten, Marktstände, hinter denen dralle Bäuerinnen Käfige mit lebendigem Geflügel und Kisten mit Gemüse zusammenpackten, und große Körbe, neben denen Fischweiber laut keifend die letzten ihrer Maischollen loszuwerden versuchten. Dazwischen drängten mancherlei Fuhrwerke, Karrenschieber und Lastträger. Jeder schien angesichts der späten Nachmittagsstunde im Aufbruch begriffen zu sein. Es war ein Wunder, dass es in all dem Durcheinander zu keinem Unfall kam.
    Angeblich handelte es sich bei diesem Platz um den Hopfenmarkt. So jedenfalls hatte es ihm vorhin ein freundliches Dienstmädchen gesagt. Folglich musste das Gebäude hinter ihm die Nikolaikirche sein. Seltsamerweise ähnelte der Turm des Gotteshauses in keiner Weise jener Ruine, die sich als Mahnmal des Zweiten Weltkrieges in der Hamburger Innenstadt seiner Zeit befand.
    War dies also wirklich der Hopfenmarkt? Er wusste es nicht. Die Hamburger, die er unterwegs nach dem Weg gefragt hatte, waren nicht unfreundlich. Aber in diesem Gassengewirr fand er sich einfach nicht zurecht.
    Welch ein Narr war er gewesen, Heinrich Heine einfach ziehen zu lassen! Tobias war davon ausgegangen, dass es ihm ein leichtes wäre, allein zum Haus der Lewalds zu finden. Er hatte sich schwer geirrt. Schnell verlief er sich in dem Gewirr der Gassen, Gänge, Twieten und Brückenstraßen. Und wenn dies hier wirklich der Hopfenmarkt war, so war

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