Der Funke des Chronos
in den letzten warmen Frühlingstagen erhitzt hatte.
Tobias half Heine aus dem Boot, und gemeinsam betraten sie einen bis hinüber zur Straße führenden Gang, neben dem eine steile Treppe zu den Zwischenböden hinaufführte. Es war dunkel; durch die verdreckten Fenster sickerte nur wenig Mondlicht. Heine deutete auf eine Laterne an der Wand, ging darauf zu und entzündete sie mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Der Speicher ist riesig«, raunte Tobias. »Wie wollen wir da diese Fracht finden?«
»Hier sollte irgendwo eine Tafel hängen, auf der verzeichnet ist, welchem Kaufmann welcher Boden gehört«, flüsterte der Dichter. »Die Hausküper legen sie an, damit die Packer die Säcke, Kisten und Fässer an die richtige Stelle schaffen. Ah, sehen Sie, da hinten!«
Heine trottete auf eine große Kreidetafel neben der Treppe zu, auf der sich verschiedene Eintragungen befanden.
»Hier! Dies müsste der richtige Boden sein.« Tobias deutete auf eine Notiz in der Mitte der Tafel, die mit ›Boden 8: Hamburg/Bergedorf – Eisenbahn Aktiengesellschaft‹ beschriftet war.
»Der Boden liegt also oben«, ächzte Heine. »Dann lassen Sie uns hinaufsteigen.«
Sie eilten die Treppe nach oben, bis sie eine Tür erreichten, die in abgeblätterten Farben die Nummer 8 trug. Tobias bemerkte, dass der Verband des Dichters durchfeuchtet war.
»Wollen Sie sich nicht etwas ausruhen?«
»Jetzt, da wir beide so weit gekommen sind?« Heine schüttelte den Kopf. »Außerdem, so schlimm ist es nicht.«
Die Tür war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Tobias probierte erneut sein Glück mit dem Besteck an Dietrichen, und einige Minuten später hatte er zu seiner eigenen Überraschung noch einmal Erfolg.
Die Tür gab ein schabendes Geräusch von sich, als er sie aufzog. Heine leuchtete, und sie überblickten einen hohen, länglichen Raum mit Holzbalkendecke, in dem es nach Staub und Sägespänen roch. Links von ihnen, nicht weit von der Tür, war er mit leeren Bretterverschlägen abgeteilt; rechts, zur Deichstraße hin, stapelte sich ein gutes Dutzend Holzkisten.
»Sieht so aus, als hätten wir Glück. Kommen Sie!« rief Heine aufgeregt und eilte hinüber zu den Kisten. Neun von ihnen trugen ein Brandzeichen mit dem Stempel ›Godwin Knight & Sons – London‹.
Tobias stellte die Laterne ab, nahm das Brecheisen zur Hand und hebelte eine besonders lange Kisten auf. Sie stemmten den Deckel hoch und blickten auf einen Haufen Holzwolle. Tobias schob das Füllmaterial beiseite und entdeckte darunter einen Gegenstand, der im Schein ihrer Laterne gold-metallisch schimmerte.
»Was ist das?« fragte der Dichter.
Tobias räumte weitere Holzwolle beiseite, und ihm war, als träfe ihn der Schlag. Vor ihm lag der vordere Teil einer Kufe. Soweit er es beurteilen konnte, ähnelte sie den Kufen jener Zeitmaschine, mit der er gerade erst in diese Epoche gereist war, bis in jede Einzelheit. Keuchend trat er zurück.
»Ich Dummkopf!« stammelte er. »Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen? Sie wird erst gebaut. Jetzt.«
»Wovon reden Sie?« wollte der Dichter wissen.
Tobias schüttelte den Kopf. Plötzlich fügten sich die Mosaiksteine zu einem Bild. Das Notizbuch Salomon Heines. Der kristallene Aktivierungshebel. Er erinnerte sich plötzlich wieder an das seltsame Déjà-vu-Erlebnis, bevor er die Zeitreise angetreten hatte. Als er mit dem Kristallstab in der Hand den Unfall auf der Straße vor seinem Wohnhaus vorhergesehen hatte. Das war nichts anderes gewesen als ein kurzer Blick in die Zukunft. In der verfluchten Elfenbeinkugel also musste der mysteriöse Smaragd stecken. Diese ultima materia, als die Heine den Stein erst am Mittag bezeichnet hatte. Es gab keine andere Erklärung dafür. Der Stein schien demnach außer Hellsicht noch ganze andere Zeitmanipulationen zu ermöglichen.
»Nun reden Sie schon!« raunzte ihn Heine erneut an.
»Dies sind die Einzelteile einer Zeitmaschine. William Lindley baut eine Maschine, mit der man durch die Zeit reisen kann«, murmelte er. »Ich habe sie bereits gesehen. Da war sie allerdings schon fertig. Ich …«
»Ja, sind Sie jetzt völlig verrückt geworden?« fauchte der Dichter.
Tobias achtete nicht auf ihn. Was hatte der Uhrmacher gesagt? Ohne den Hebel sei die Zeitmaschine nutzlos!
»Aber … ohne diesen Smaragd funktioniert die Apparatur nicht.«
»Sie sind verrückt!« rief Heine entgeistert. »Komplett verrückt. Wenn Sie diese Maschine bereits gesehen haben wollen, dann würde das ja
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