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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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sich rasch wieder auf. Hastig schnitt er seinem Gegner den Weg zum Pier ab.
    Der Maskierte beachtete ihn nicht weiter. Er warf sich herum und hetzte zur gegenüberliegenden Seite des Schiffs. Der Kerl wollte doch nicht etwa ins Wasser springen? Tobias stürmte ihm hinterher und erkannte im Zwielicht, wie sich sein Gegner die Maske vom Kopf riss. Im nächsten Augenblick hechtete der Fremde über die Reling und tauchte klatschend in das Wasser des Hafenbeckens ein.
    Tobias eilte zur Bordwand und starrte ins Wasser. Doch außer der auf den Fluten tänzelnden Jolle war in der Dunkelheit nichts zu erkennen.
    »Verflucht!« knirschte er und ließ das Florett sinken. Auch Heine trat nun neben ihn und starrte auf das Wasser. Von dem Flüchtigen war immer noch keine Spur zu sehen.
    Wütend stampfte Tobias auf dem Deck auf. »Ich hätte hinterher springen sollen! Ich muss endlich herausfinden, was in dieser Stadt vor sich geht.«
    Heine, der einen misstrauischen Blick zu den benachbarten Schiffen warf, flüsterte: »Wie wäre es, wenn wir erst einmal von hier verschwinden und Sie mich verbinden? Und später finden wir es dann heraus.«

 

Deichstraße
     
    Hamburg 1842, 5. Mai,
    5 Minuten nach Mitternacht
     
    H eine saß mit verbundenem Arm im Heck der Jolle, während Tobias schwitzend und im Gleichtakt sein schmales Brett ins Wasser des Deichstraßenfleets eintauchte. Die Fluten glitzerten silbern im Mondlicht. Der Kanal war nur knappe sieben Meter breit und wurde an beiden Seiten von hohen Speichern und Wohnhäusern gesäumt.
    Erst vor zehn Minuten hatten sie einer großen, mit sechs Mann besetzte Ruderjolle aus dem Weg gehen müssen. Die so genannte Hafenrunde, wie ihm Heine erklärt hatte; das war eine Abteilung der Polizei, die für die Sicherheit im Hamburger Hafen verantwortlich war. Am Bug hatte gebieterisch ein Mann gestanden, mit einem dunklem Uniformrock bekleidet und auf dem Kopf einen Dreimaster, während die ihm untergebenen Officianten rudern mussten. Das Boot war nur eine Mastlänge entfernt an ihnen vorbeigeglitten. Glücklicherweise hatten sie sich hinter einigen aus dem Wasser ragenden Pfählen verstecken können, so dass die Männer sie nicht entdeckt hatten. »Der Mann ist nicht nur ein Verbrecher, sondern auch ein technisches Genie«, murmelte Heine staunend. Tobias warf einen knappen Blick über die Schulter und sah, dass er gerade bewundernd ihre Beute musterte: den seltsamen Koffer mit den Ventilen und die zwei Masken. Sie lagen neben dem Kapuzenmantel des Fremden, den sie ebenfalls mitgenommen hatten. Den Helfer ihres Gegners, der noch immer bewusstlos in der Messe lag, hatten sie zurückgelassen. Tobias hoffte, dass er gefunden wurde, bevor er wieder zu sich kam.
    »Ja, mag sein«, schnaufte er und tauchte das Brett ein weiteres Mal in das stinkende Kanalwasser. »Aber wie heißt es so schön: Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander. Wenigstens weiß ich, dass der Kerl den Smaragd noch nicht hat. Er fragte mich danach.«
    Und er hatte von seinem Geheimnis gewusst, wie Tobias im stillen hinzufügte. Dies beunruhigte ihn am meisten.
    »Ist es eigentlich noch weit?«
    Heine zählte die Gebäude ab und deutete auf einen gut fünfzehn Meter hohen Fachwerkspeicher mit Spitzgiebel und Sprossenfenstern an der Außenfassade, der eingeklemmt zwischen zwei anderen Lagerhäusern lag. Unter dem Dachgiebel zeichnete sich dunkel ein Kranbalken vor dem Nachthimmel ab, und zum Fleet hin war ein mittig angebrachtes Tor zu erkennen. »Der da ist es!«
    Vorsichtig glitten sie mit dem Boot auf die steinerne Treppe vor dem Tor zu, die von der Flut noch feucht schimmerte. Ein schmieriger Algenbewuchs bedeckte die Stufen, und Tobias glaubte, einen kleinen Krebs forthuschen zu sehen, als sie mit der Jolle daran entlangschrammten. Sie machten das Boot fest, und Heine reichte ihm nicht etwa das Brecheisen, sondern das Bündel mit den Dietrichen.
    »Alles andere wäre zu laut«, flüsterte er.
    Tobias starrte die gebogenen Drähte und Nägel ratlos an. »Allmählich komme ich mir wie ein Einbrecher vor«, brummte er.
    Der Dichter lachte trotz seiner Schmerzen. »Sie sind einer, mein junger Freund. Sie sind einer.«
    Es bedurfte eines guten Dutzends Anläufe, bis er endlich einen gebogenen Haken fand, mit dem er bei dem Torschloß Erfolg hatte. Schnappend sprang es auf, und die Tür öffnete sich knarrend. Warme, trockene Luft schlug ihm entgegen; es roch nach Gummi und Schellack. Dem Speicher war anzumerken, wie er sich

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