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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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hustete. »Was soll das jetzt?«
    »Welches Datum?« schrie Tobias.
    »Heute? Der fünfte Mai, verflucht!« Der Dichter lief zur Tür und rüttelte daran. Sie war verschlossen. »Wir müssen hier raus.«
    »Nein!« schrie Tobias voller Entsetzen und hustete. Wüst trampelte er zwischen den Flammen auf dem Boden herum. »Wir müssen das Feuer löschen. Dies ist die Deichstraße. Der Große Brand von 1842! Das darf ich nicht zulassen. Wenn wir es nicht schaffen, fackelt halb Hamburg ab. Wir müssen das Feuer aufhalten!«
    »Lassen Sie das!« brüllte der Dichter. »Ich brauche Sie hier an der Tür!«
    Tobias reagierte nicht. Er trampelte noch immer wie besessen auf den Flammen herum. »Nein. Das darf ich nicht zulassen. Viele Menschen werden sterben. Wir …«
    Heine versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Mann, kommen Sie zu sich! Und hören Sie mit diesem Unsinn auf. Die Wittkittel werden damit schon fertig. Und jetzt helfen Sie mir, die Tür aufzubrechen.« Er hustete. »Sonst sind wir es, die hier umkommen! Los jetzt!«
    Heine stieß ihn von sich und rannte durch den Rauch und die Flammen wieder auf die Tür zu. Tobias bemerkte, dass der Saum seiner Hose zu schwelen begann. Er hetzte nun ebenfalls zur Tür, und gemeinsam warfen sie sich dagegen. Beim dritten Anlauf brach das Holz, und sie stürzten spuckend und keuchend ins Treppenhaus. Hinter ihnen schlugen die Flammen inzwischen bis zur Decke hinauf.
    Gemeinsam hasteten sie die Treppenstufen hinunter, die vom prasselnden Schein der Flammen rot erleuchtet wurden. Eine Minute später hatten sie das Erdgeschoß erreicht und rannten auf den Zugang zum Fleet zu. Heine keuchte, als sie ins Freie taumelten. Tobias blickte verzweifelt zum Giebel des Speichers hoch, wo jetzt dunkler Rauch zu sehen war. Er drang aus den Ritzen und Fugen der Dachpfannen und stieg wie ein Trauerflor zum Nachthimmel auf. Tobias war elend zumute. Die Lampe eines unaufmerksamen Arbeiters also. Er hatte miterlebt, wie der Große Brand ausbrach, und es war ihm nicht gelungen, etwas dagegen zu tun. Er fühlte sich wie ein Versager.
    Willenlos ließ er sich von Heine in die Jolle bugsieren. Der löste hastig die Leinen. Gemeinsam stießen sie das Boot vom Gebäude ab.
    »Ich hätte etwas tun müssen«, stammelte Tobias verzweifelt. »Irgend etwas.«
    Jenseits des Gebäudes schallte plötzlich leise eine Stimme durch die Nacht. »Füer! Füer in de Diekstraat!«

 

Der Große Brand
     
    Hamburg 1842, 5. Mai,
    8 Minuten nach 10 Uhr am Morgen
     
    A ls Tobias erwachte, hatte er Kopfschmerzen und wusste im ersten Augenblick nicht, wo er sich befand. Erst als er sich in seinem Bett aufsetzte und die kleine Gesindekammer mit der Dachschräge und dem gegenüberliegenden Bettkasten sah, fiel ihm wieder ein, wohin ihn Heine letzte Nacht gebracht hatte: zurück ins Baumhaus.
    Seine Kleidung roch noch immer nach Rauch, und durch das halb geöffnete Dachfenster waren leise, aufgeregte Stimmen zu hören. Mit dem Geruch setzten auch die Erinnerungen an die Ereignisse der letzten Nacht wieder ein. Das Feuer! Es hatte im Speicher einen Brand gegeben.
    Er sprang auf und war mit einem Satz am Fenster. Der Anblick, der sich ihm aus dieser Höhe bot, war schrecklich: Die ganze Innenstadt schien in Flammen zu stehen. Über das nordöstlich gelegene Dächermeer hinweg erkannte er eine mächtige Feuersbrunst, die mehrere Straßenzüge erfasst hatte. Der Himmel war schwarz von Rauch, und in den Straßen liefen aufgeregt Scharen von Menschen umher. Selbst im Hafen war die Aufregung zu spüren. Zwei Schiffe am nördlichen Hafenbecken legten vorsichtshalber von den Kaianlagen ab, und weiter östlich war eine große Schutenspritze zu erkennen, in der zwanzig Feuerwehrleute mit weißer Schutzkleidung saßen und auf einen der Kanäle in Richtung Brandherd zuruderten.
    Tobias wandte sich erschüttert ab. Himmel, wie lange hatte er geschlafen, dass sich das Feuer inzwischen so hatte ausbreiten können? Offenbar hatte die durchwachte vorletzte Nacht ihren Tribut gefordert.
    Er war gerade dabei, in seine Stiefel zu schlüpfen, als sich die Tür zur Kammer öffnete. Herein trat Heinrich Heine und maß ihn mit knappem Blick. »Guten Morgen, wenn man das an einem Tag wie diesem sagen darf. Sie haben wie ein Toter geschlafen.«
    Der Arm des Dichters schien neu verbunden zu sein.
    »Wie spät ist es?« wollte Tobias wissen.
    Heine zückte seine Taschenuhr. »Etwa zehn Minuten nach elf Uhr.«
    »Bis wohin hat sich der Brand bis jetzt

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