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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Worten auch die Taten folgen!« Er lächelte böse. »Ihnen muss doch sehr unwohl sein, hier oben, dem Himmel so nahe.«
    Tobias spähte ängstlich in die Tiefe. Ihm schwindelte. Hastig schloss er die Augen. Er durfte sich nicht wieder dazu verleiten lassen, einen Blick in den Abgrund zu werfen.
    »Wussten Sie, dass isch einer Zirkusfamilie entstamme?« erklärte de Lagarde übergangslos. »Mein Vater hat misch als Kind mit seine artistische Übungen lange gequält.« Er spreizte die Arme wie ein Pfau sein Gefieder und hob auf groteske Weise ein Bein, bis er nur noch mit einem Fuß auf dem Dachfirst balancierte. In dieser Pose verharrte er eine Weile. »Isch habe es gehasst. So wie isch das ganze Leben unter die Gauklervolk gehasst habe. Aber wenn isch nischt gehorchte, hat er misch mit eine Feuereisen geschlagen, bis isch halb tot war. Geholfen hat mir niemand. Und wenn sie betrunken waren, haben misch die anderen ebenfalls geschlagen. Bis isch dreizehn war. Isch habe gewartet, bis sie getrunken hatten, dann habe isch die Wagen von außen verriegelt und ein große Feuer gelegt. Sie alle sind bei lebendige Leib verbrannt. Wenn isch eine kleine Aufmunterung brauche, dann denke isch einfach zurück. Isch habe ihre Schreie heute noch in mein Ohr. Es hat lange gedauert, bis sie krepiert sind.«
    »Sie sind ein armer Irrer!« stieß Tobias hervor. »Sie tun mir leid.«
    »Ach, tue ich das?« Der Arzt verzog gehässig sein Gesicht und setzte seinen Fuß wieder auf dem Dachfirst auf. Von oben herab betrachtete er ihn. »Vielleicht habe ich auch als einziger verstanden, worauf es im Leben ankommt? Es gibt kein justice. Empfinden Sie es nicht als Ironie, dass Sie jetzt hilflos auf die Dach sitzen müssen, während ich auf meine alten Künste zurückgreifen kann? Das Leben ist eben nischt gerecht.«
    »Fahren Sie zur Hölle!«
    »Hölle?« Der Franzose schüttelte mitleidig den Kopf. »Aber isch bitte Sie. Es gibt den Teufel ebenso wenig wie einen Gott. Beide sind nur eine fixe Idee. Gemacht von Menschen, um andere Menschen zu beherrschen. Und als Ausrede dafür, ihre Verstand nischt zu gebrauchen. Haben Sie es immer noch nischt begriffen? Isch habe diese Fesseln schon lange abgeworfen. Isch bin mein eigener Gott!«
    Verzweifelt sah sich Tobias um. In dieser Situation hatte er gegen den verrückten Arzt keine Chance. Der tänzelte jetzt mit zwei weiteren Schritten näher und stieß blitzschnell zu. Tobias riss den Säbel hoch und parierte. Doch als er seinerseits nach ihm stieß, wich der Arzt virtuos aus.
    Verflucht, so würde er die Initiative nie gewinnen. Tobias schlug ein weiteres Mal nach de Lagarde und drosch währenddessen mit den Fersen auf die Dachziegel ein. Endlich lösten sich einige von ihnen und rutschten in die Tiefe. Sofort setzte er einen Fuß in das entstandene Loch und stemmte sich hoch. Erneut klirrte Stahl gegen Stahl, doch jetzt hatte er einen besseren Stand. Auf der anderen Dachseite versuchte er es gleichermaßen. Auch dort rutschten die Ziegel unter seinen Tritten in die Tiefe.
    Nun richtete er sich gänzlich auf und versuchte es mit einem halbherzigen Ausfall. Doch der Arzt parierte auch diese Attacke, fintierte und zwang Tobias mit einem gewaltigen Ausfallschritt, sich nach hinten zu werfen.
    Links unterhalb knirschte es, und weitere Dachziegel brachen weg. Tobias verlor den Halt, kippte schreiend zur Seite und schaffte es gerade noch, sich an den Tonplatten des Giebels festzuhalten. Unter ihm prasselten weitere Ziegel in die Tiefe.
    De Lagarde wirbelte über ihm heran und prellte ihm mit einem wuchtigen Hieb den Säbel aus der Hand. Tobias konnte die Waffe ohnehin nicht mehr halten. Er brauchte beide Hände, um sich an den Dachsparren festzuklammern.
    Er hatte verloren.
    »Sehr schade«, erklärte de Lagarde bedauernd. »Isch hätte Sie vor Ihrem Todd gern noch über die Zeit befragt, aus der Sie stammen.«
    In diesem Augenblick sah Tobias den riesigen rot-weißen Schatten, der lautlos von jenseits des spitzen Turmdachs auf sie zuschwebte. Lewalds Ballon!
    Im Korb stand der dicke Konstabler und hielt das Seil mit dem kleinen Anker in der Hand, den er nun mit einer weit ausholenden Bewegung in Richtung des Dachs wirbelte.
    Der Franzose bemerkte Tobias’ Blick und fuhr geduckt herum. Nur drei Meter von ihnen entfernt zertrümmerte das schwere Metallgerät weitere Dachpfannen und schlug ein Loch in das Gebäude. Das Seil wickelte sich ab, und der Korb des Ballons glitt dicht über ihre Köpfe

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