Der Funke des Chronos
warf er sich auf den Untergebenen des Franzosen, der soeben im Begriff war, sich wieder aufzurichten. Doch statt sich dem Konstabler entgegenzuwerfen, wich der Mann seitlich aus, packte den Polizisten, als dieser ihn erreicht hatte, und nutzte den Schwung des Dicken, um ihn gegen die große Ladeluke zu schleudern.
Krachend flog Borchert gegen die Türflügel. Das Holz splitterte unter seinem Gewicht, und er stieß einen entsetzten Laut aus. Hilflos mit den Armen rudernd stand er in der Turmöffnung und versuchte sich am Mauerwerk festzuhalten, um nicht hinauszufallen. Vergeblich. Mit einem langen Schrei stürzte er in die Tiefe.
»Borchert, nein!« Seite an Seite mit dem Dichter stürmte Tobias vorwärts und achtete nicht auf das Brennen und Pochen der Verletzung. Mit dem Säbel drang er blindwütig auf den Franzosen ein. Funken sprühten, als die Klingen aneinander entlangschrammten. Diesmal war er es, der mit der besseren Waffe ausgestattet war.
Ausfall. Battuta. Primstoß. Secondstoß. Radoppio.
Mit wuchtigen Schlägen trieb er den Franzosen an die Wand. Doch der Arzt wich mühelos aus, konterte mit einer Finte und setzte zu zwei wuchtigen Befreiungsschlägen an, um dann geduckt an Tobias vorbeizuhechten.
Der drehte sich um und sah aus den Augenwinkeln, dass Heine und dieser Hector am Boden lagen und verbissen miteinander rangen. Der Dichter wurde von einem schweren Faustschlag im Gesicht getroffen, im nächsten Augenblick war der Komplize des Franzosen über ihm und nagelte ihn mit den Beinen am Boden fest.
Tobias konnte sich nicht weiter auf die beiden konzentrieren. Erjagte erneut dem Franzosen nach, der nun seinerseits zu dem Tisch hetzte, auf dem die doppelläufige Pistole lag. Wieder war es der gefesselte Lindley, der den Versuch vereitelte, indem er sich dem Franzosen in den Weg rollte.
Der Arzt geriet ins Stolpern, stiel? einen Fluch aus und musste sich im nächsten Augenblick wieder gegen Tobias zur Wehr setzen. Erneut klirrte Stahl auf Stahl. Tobias fluchte.
»Ihr Partner!« brüllte der Ingenieur.
Tobias warf einen verzweifelten Blick nach hinten. De Lagardes Diener hatte inzwischen ein Messer gezückt, um es dem wehrlosen Dichter in den Hals zu rammen. Und Tobias konnte nichts tun. Ließe er von de Lagarde ab, so würde dieser die Atempause sofort dazu nutzen, um nach der Schusswaffe zu greifen.
In diesem Augenblick stürzte ein Schatten auf Heines Gegner zu und riss ihn zu Boden. Es war Justus Lewald.
Der Kampf hatte ihn endlich aus seiner Lethargie gerissen. Obwohl gefesselt, hatte er es irgendwie geschafft, auf die Beine zu kommen.
De Lagardes Diener, der neben Heine der Länge nach hingefallen war, schrie zornig auf und hob das Messer, um es Lewald in den Leib zu rammen. Mitten in der Bewegung erstarrte er. Aus seinem Hals ragte plötzlich der Schaft eines Federkiels. Röchelnd riss er ihn wieder heraus und starrte Heine, der von der ungewöhnlichen Waffe Gebrauch gemacht hatte, ungläubig an. Dann kippte er zu Boden. Erschöpft rappelte sich der Dichter auf.
De Lagarde kommentierte das Geschehen mit einem wütenden Aufschrei, trieb Tobias mit zwei kühnen Schlägen zurück und stürzte auf einmal nach hinten durch die Maueröffnung, wo er nach rechts ausbrach.
Tobias hechtete ebenfalls zur Außenluke und entdeckte, dass sich gleich hinter den zersplitterten Türflügeln das Baugerüst befand. Auf dem Holz waren Schritte zu hören, denen ein Fluch folgte: »Merde!« Tobias spähte um die Ecke und sah, dass der Arzt Pech gehabt hatte. Auf der rechten Seite führte lediglich eine Leiter nach oben statt nach unten.
Tobias stürzte zurück zum Tisch, griff nach der Schusswaffe und hetzte wieder zurück zum Durchlass. Kaum war er hindurchgeschlüpft, hörte er einige Meter unter sich eine gepresste Stimme.
»Hülpen Sie mi!«
Himmel, das war der Konstabler!
Tobias starrte an dem Laufsteg vorbei nach unten und sah den Dicken. Er baumelte gut zehn Meter über dem Erdboden an einem Seil, das hinauf zu dem Lastkran über der Außenluke führte.
»Tun Sie wat! Ik kunn mi nich mehr lüng halten!« keuchte er erneut.
»Heine!« brüllte Tobias dem Dichter zu, der Lewald gerade von seinen Fesseln befreien wollte. »Borchert lebt. Er hängt hier am Kran! Lassen Sie ihn hinunter, sonst stürzt er ab!«
Heine nickte und eilte auf eine Seilwinde an der Wand zu. Tobias rannte nun endlich de Lagarde nach, der längst eine Etage über ihm erreicht hatte. Doch sehr viel weiter konnte er nicht
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