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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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schmalen Fenster, dessen Scheibe mit weißer Ölfarbe angestrichen war; ich starrte stumpf auf die Tür, als wartete ich auf etwas. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand und wie ich hierhergeraten war. An den Füßen trug ich Schlapp-Pantoffeln, am Leibe einen gestreiften Pyjama. – Immerhin etwas Neues! – vermerkte ich. – Selbst wenn es sich nicht sonderlich interessant anläßt! – Die Tür wurde geöffnet. Umdrängt von einer Gruppe junger Leute in weißen Spitalmänteln, stand auf der Schwelle ein untersetzter bärtiger Herr mit grauem Bürstenhaar und goldener Brille. In den Händen hielt er einen Gummihammer. »Ein interessanter Fall, Kollegen« – sagte dieser Herr. »Sehr interessant! Vor vier Monaten erlitt dieser Patient eine Vergiftung durch Aufnahme einer beträchtlichen Dosis von Halluzinogenen. Ihre Wirkung ist längst abgeklungen, er aber kann es nicht glauben und hält weiterhin alles Wahrgenommene für eine halluzinatorische Erscheinung. In dieser Abwegigkeit ging er bis zum Äußersten: als er in den Kanälen Soldaten des Generals Diaz traf, die eben aus dem besetzten Palast flüchteten, da bat sie der Kranke selbst, ihn zu erschießen. Er meinte nämlich, er werde nicht in Wirklichkeit sterben, sondern statt dessen aus der Wahn weit erwachen. Drei sehr schwere Eingriffe haben ihn gerettet – ihm wurden zwei Kugeln aus den Herzkammern entfernt – und nun glaubt er steif und fest, er halluziniere noch immer.«
    »Ist das Schizophrenie?« – fragte mit feiner Stimme eine kleingewachsene Studentin. Sie konnte sich im Gewühl nicht vordrängen und stellte sich immer wieder auf die Zehenspitzen, um den Kollegen über die Schulter zu gucken und mich zu besichtigen. »Nein. Das ist eine neue Spielart der reaktiven Psychose, zweifellos hervorgerufen durch die Anwendung jener verhängnisvollen Mittel. Ein völlig hoffnungsloser Fall; die Aussichten sind so schlecht, daß wir uns entschlossen haben, ihn zu vitrifizieren.«
    »Wirklich? Herr Professor!« – die Studentin war außer sich vor Wißbegier. »Ja. Wie ihr wißt, können hoffnungslose Fälle heute bereits für einen Zeitraum von vierzig bis siebzig Jahren in Flüssigstickstoff tiefgekühlt werden. Jeder solche Patient wird in einem hermetisch verschlossenen Behälter untergebracht, in einem abgewandelten Dewarschen Vakuumgefäß mit der genauen Krankengeschichte. Je nach den medizinischen Neuentdeckungen und Fortschritten macht man dann Bestandsaufnahmen in den Kellern, wo diese Menschen aufbewahrt werden, und erweckt jeden, dem schon geholfen werden kann.«
    »Lassen Sie sich denn gern tiefkühlen, mein Herr?« – fragte mich die Studentin, zwischen zwei stattlichen Studenten hervorguckend. Die Augen flammten ihr vor wissenschaftlicher Neugier. »Mit Wahnbildern rede ich nicht« – entgegnete ich. »Äußerstenfalls, mein Fräulein, kann ich Ihnen sagen, wie Sie heißen. Halluzinda.«
    Während die Tür geschlossen wurde, hörte ich die Studentin noch reden. »Winterschlaf!« – sagte sie. »Vitrifizieren! Das ist ja eine Zeitreise, wie romantisch!« Ich war anderer Meinung, aber was half das? Ich mußte die fiktive Außenwelt gewähren lassen. Gegen Abend des nächsten Tages führten mich zwei Wärter in den Operationssaal. Dort stand ein Glasbecken, woraus so eisige Dämpfe aufstiegen, daß der Atem stockte. Ich bekam Unmengen von Spritzen, dann wurde ich auf den Operationstisch gelegt und durch ein Röhrchen mit süßlicher klarer Flüssigkeit vollgetränkt; das sei Glyzerin, erklärte mir der Oberwärter. Er war nett zu mir. Ich nannte ihn Halluzius. Als ich schon hinwegdämmerte, beugte er sich über mich und rief mir noch ins Ohr: »Frohes Erwachen!« Ich konnte nicht antworten und nicht einmal einen Finger bewegen. Die ganze Zeit hindurch – wochenlang! – hatte ich befürchtet, die Leute könnten zu hastig sein und mich schon vor dem Eintritt der Bewußtlosigkeit ins Becken werfen. Sie übereilten sich offenbar wirklich. Denn als letzter Laut aus dieser Welt drang an meine Ohren der Platsch beim Eintauchen meines Körpers in den Flüssigstickstoff. Ein garstiger Laut. Nichts. Nichts. Nichts. Schlechterdings gar nichts! Fast hätte ich gemeint: etwas. Ja denkste! Nichts. Es gibt nichts. Mich auch nicht. Wie lange noch? Nichts. Etwas, wie mich deucht. Allerdings nicht gewiß. Ich muß mich konzentrieren. Etwas. Aber sehr, sehr wenig. In anderen Verhältnissen würde ich sagen: nichts. Gletscher. Weiße und blaue. Alles ist

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