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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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schräggeneigtem Kopf schien er aufmerksam einer Antwort zu lauschen, dann setzte er fort: »Meine Tugendhaftigkeit ist keine Heuchelei, die abgestumpfte Begierden zusätzlich entfachen soll, sondern die lauterste Wahrheit. Mein Herr, Sie werden mich nicht anrühren, da ich mir sonst das Leben nehmen müßte.« – Aha! – durchblitzte es mich verständnisinnig. – Der hat es auch schon eilig in den Kanal! Einigermaßen beruhigt horchte ich weiter; den Umstand, daß der Professor halluzinierte, empfand ich als Beweis dafür, daß wenigstens ich dies nicht tat. »Vorsingen kann ich Ihnen, das wohl« – sprach indessen der Professor. »Ein züchtiges Liedchen verpflichtet zu nichts. Spielen Sie die Begleitung?« Möglicherweise redete er aber bloß im Schlaf; dann war wiederum alles ungeklärt. Vielleicht sollte ich probeweise aufsitzen? Aber in den Kanal springen konnte ich eigentlich auch ohne des Professors Mittlerschaft. »Ich bin nicht recht bei Stimme. Und Mama wartet auf mich. Nein, ich gehe allein nach Hause« – erklärte Trottelreiner kategorisch. Ich stand auf und beleuchtete alles der Reihe nach mit der Taschenlampe. Die Ratten waren verschwunden. Die Schweizer Futurologengruppe schnarchte in Reih und Glied dicht an der Wand. Ein wenig abseits ruhten Reporter und Hilton-Manager kunterbunt in den Aufblasfauteuils. Überall lagen abgenagte Geflügelknochen und leere Bierdosen. – Wenn das eine Halluzination ist, dann eine sehr, sehr realistische – sagte ich mir. Dennoch hätte ich mich gern vergewissert, daß es keine sei. Weiß Gott, ich wäre lieber in ein endgültiges unwiderrufliches Wachdasein zurückgekehrt! Was gab es wohl Neues oben in der Stadt?
    Detonierende Bomben (oder Bemben?} meldeten sich dumpf und spärlich. Neben mir ertönte ein lauter Platsch. Die Oberfläche der schwarzen Gewässer tat sich auf, und zum Vorschein kam das verzerrte Gesicht Professor Trottelreiners. Ich reichte ihm die Hand. Er kroch ans Ufer, schüttelte sich und vermerkte: »Ich hatte einen blödsinnigen Traum.«
    »Einen jüngferlichen, oder?« – versetzte ich beiläufig. »Zum Teufel! Ich halluziniere also noch immer?!«
    »Wieso glauben Sie das?«
    »Nur in Wahnerlebnissen kennen Außenstehende den Inhalt unserer Träume.«
    »Ich habe Sie bloß reden gehört« – erklärte ich. »Herr Professor, Sie als Fachmann kennen doch vielleicht irgendeine geeichte Methode, wonach sich feststellen läßt, ob man seine fünf Sinne beisammen hat oder an Wahnvorstellungen leidet?«
    »Ich trage immer Wachpulver bei mir. Der Beutel ist durchnäßt, aber den Pastillen schadet das nicht. Sie unterbrechen alle Umnachtungszustände, Trugwahrnehmungen, Gesichte und Alpträume. Wollen Sie?«
    »Mag sein, daß Ihr Präparat so wirkt« – brummte ich. »Aber das Scheinbild eines solchen Präparates wirkt bestimmt nicht so.«
    »Wenn wir halluzinieren, wachen wir auf, und wenn nicht, dann geschieht überhaupt nichts« – versicherte der Professor und steckte eine blaßrosa Pastille in den Mund. Auch ich nahm eine aus dem dargebotenen nassen Säckchen. Sie glitt über die Zunge in den Schlund. Knallend sprang hoch über uns der Kanaldeckel auf; ein Kopf mit Fallschirmjägerhelm zeigte sich und brüllte: »Schnell herauf, hoppauf, schnell, aufstehen!«
    »Hubschrauber oder Holfter?« – fragte ich gewitzigt. »Wenn es nach mir geht, Herr Sergeant, dann können Sie sich das alles hinten hineinstecken.« Und ich setzte mich an die Wand und legte die gekreuzten Arme auf die Brust. »Übergeschnappt?« – erkundigte sich der Sergeant sachlich bei Trottelreiner, der die Leiter hinaufzuklettern begann. Alle wurden munter. Stantor faßte mich unter der Achsel, um mich hochzuziehen, aber ich stieß seine Hand zurück. »Sie bleiben lieber hier? Bitte sehr!«
    »Falsch. ›Gott befohlen‹ heißt es« – verbesserte ich. Der Reihe nach verschwanden alle durch die offenstehende Kanalluke. Ich sah Feuerschein, hörte Kommandorufe und merkte an den dumpfen Zischtönen, daß die Leute nacheinander mit Flugtornistern in die Lüfte abgefertigt wurden. – Seltsam! – überlegte ich. – Was soll das? Halluziniere ich für die anderen? Per procura? Und was nun? Werde ich so sitzen bis zum Jüngsten Tag? Dennoch regte ich mich nicht. Der Deckel klappte knallend zu, und ich blieb allein. Die Taschenlampe stand hochkant auf dem Beton; ihr von der Decke widerschimmernder Lichtkreis erhellte schwach die Umgebung. Zwei Ratten gingen vorbei, die

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