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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Geheimpillen an, die normal nicht im Handel seien. Schrecklich auszudenken, was die wohl enthalten mögen! Weiters eine Warnung vor Schwarzträumern, unbefugten Verkäufern gewisser zum Vertrieb nicht zugelassener Traumel. Und zugleich ein Aufruf, nicht spontan und wildwüchsig zu träumen, da dies psychische Energie vergeude. Wieviel Sorge um den Staatsbürger! Ich bestellte ein Traumel aus dem Hundertjährigen Krieg und erwachte am Morgen ganz traumenblau geprügelt. 3.10. 2039. Weiterhin führe ich ein einsames Leben. Heute blätterte ich in einer Nummer der soeben abonnierten Vierteljahrsschrift »Heimische Zukunde« und stieß zu meiner Verblüffung auf den mir wohlbekannten Namen Professor Trottelreiner. Gleich befielen mich denn auch wieder die ärgsten Zweifel: gehört etwa alles, was ich erlebe, zu ein und derselben Kette von Gesichten und Vorspiegelungen? Im Prinzip wäre das möglich. »Psychomatics« preist ja neuerdings Stratile an, Schichtpillen, die vielstufige Blendwerke auslösen. Gesetzt, jemand möchte Napoleon bei Marengo sein, und nach der Schlacht freut ihn die Rückkehr ins Wachen nicht; also serviert gleich dort auf dem Schlachtfeld Marschall Ney oder einer von der alten Garde ein silbernes Tablett mit der nächsten Pille; die ist zwar bloß halluziniert, aber das schadet nichts: nach dem Einnehmen öffnen sich die Pforten der nächstfolgenden Halluzination, und so weiter, solang es beliebt. Da ich gewohnt bin, gordische Knoten zu zerhauen, verspeiste ich das Telefonverzeichnis, erfuhr so die Nummer des Professors und rief ihn an. Wirklich – er selbst! Ich treffe ihn beim Abendbrot.
    4. 10. 2039. Drei Uhr morgens. Ich schreibe dies todmatt und mit gramgebeugter Seele. Der Professor verspätete sich ein wenig, so daß ich im Restaurant eine Weile auf ihn wartete. Zu Fuß kam er an; ich erkannte ihn von weitem, obwohl er jetzt weit jünger ist als im vorigen Jahrhundert: auch Brille und Regenschirm führt er nicht mehr mit sich. Bei meinem Anblick schien er bewegt. »Wie? Sie gehen zu Fuß?« – fragte ich. »Etwa gar eine Störrung?« (d. h. Störrischwerden eines Autos; derlei kommt vor.) »Nein« – entgegnete er. »Ich bewege mich lieber per pedes apostolorum.« Doch dabei lächelte er ganz eigentümlich. Als die Kelputer abtraten, begann ich ihn nach seinem täglichen Leben auszufragen, aber sofort entschlüpfte mir auch ein Wörtchen über den Halluzinationsverdacht.
    »Hören Sie auf, Tichy, wieso denn Halluzination?« – protestierte der Professor. »Ebensogut könnte ich Sie verdächtigen, meine Fata Morgana zu sein! Sie haben sich einfrieren lassen? Ich auch. Sie sind aufgetaut worden? So auch ich. Mich hat man überdies verjüngt, nun ja, Rejuvenil und Entkalker … Sie, mein Freund, haben das nicht nötig, aber ich … Ohne diese Generalüberholung könnte ich heute nicht als Zukundler tätig sein.«
    »Als Futurologe?«
    »Diese Bezeichnung bedeutet jetzt etwas anderes. Der Futurologe erstellt Fupros – Zukunftsprognosen –, während ich mich mit der Theorie befasse. Das ist etwas völlig Neues; zu unserer Zeit war das noch nicht bekannt. Man könnte sagen: sprachseitige Zukunftsvorhersage. Linguistische Prognostik!«
    »Nie gehört. Was ist das?« Ich fragte, ehrlich gesagt, eher aus Artigkeit als aus Neugier, aber das bemerkte er nicht. Die Kelputer brachten uns die Vorspeisen. Zur Suppe nahmen wir 1997er Weißwein; das ist ein guter Jahrgang Chablis, den ich schätze; deshalb hatte ich ihn ausgewählt. »Die linguistisch orientierte Futurologie erforscht die Zukunft an Hand der Umformungsmöglichkeiten der Sprache« – erläuterte Trottelreiner. »Ich verstehe nicht …«
    »Der Mensch vermag nur das zu bemeistern, was er verstehen kann; verstehen kann er hinwiederum nur, was sich aussagen läßt. Das Unsagbare ist unfaßbar. Wenn wir die weiteren Entwicklungsstadien der Sprache erforschen, dann finden wir heraus, welche Umwälzungen in der Lebensweise, welche Entdeckungen und Wandlungen diese Sprache künftig wird abspiegeln können.«
    »Sehr merkwürdig. Wie sieht das in der Praxis aus?«
    »Die Forschungen betreiben wir mit Hilfe der größten Computer, denn der Mensch kann nicht eigenhändig sämtliche Varianten ausprobieren. Es handelt sich hauptsächlich um die syntagmatisch-paradigmatische, aber gequantete Variativität der Sprache …«
    »Professor!«
    »Verzeihen Sie. Köstlich, dieser Chablis. Am besten werden Ihnen ein paar Beispiele die Sache erläutern.

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