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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Abgemacht?«
    Wanja zögerte mit der Antwort, kaute auf den trockenen Lippen.
    »Du bist doch ehrlich? Das hast du gesagt? Und die Ehrlichen helfen der Miliz!«
    Wanja nickte.
    »Ich bin hier mit einem Spezialauftrag«, fuhr Igor fort, dem das Spiel gefiel. »Dein Wein«, er deutete mit dem Kinn auf den Schlauch, »interessiert mich nicht. Nimm ihn mit nach Hause und gib ihn deiner Mutter…«
    »Und was interessiert Sie, Genosse Leutnant?«, fragte Wanja Samochin vorsichtig, doch schon ein wenig schmeichelnd.
    [77] »Tschagin. Und sein Umfeld… Sogar mehr sein Umfeld als er selbst…«
    Wanja nickte wieder. »Ich tue, was ich kann…«
    »Also gut. Und… kann ich bei dir übernachten?«
    »Sie wollten doch zum Busbahnhof?«
    »Fahren nachts denn Busse?«, fragte Igor und lächelte kaum merklich.
    »Nein«, antwortete Wanja verwirrt.
    »Na, siehst du, wozu brauche ich den Busbahnhof? Kann ich bei dir übernachten?«
    »Ja, natürlich! Dann…«
    Und ohne den Satz zu beenden, schritt Wanja munterer aus, schon weniger beugte sein Rücken sich unter der flüssigen Last. Igor hielt gewissen Abstand, blieb zwei, drei Schritte zurück. Unbemerkt zogen sie in die nächtliche Stadt ein. Seitlich tauchten Zäune auf, hinter denen man schwarz in grau die Umrisse freistehender Häuser sah. Otschakow schlief. Irgendwo in der Ferne funkelten Lichter, doch in den Fenstern der Häuser war alles dunkel. Kaum eine halbe Stunde später betraten sie einen mit Weinreben überwachsenen Hof. Wanja brachte den Weinschlauch in einen Schuppen, dann öffnete er vorsichtig die Haustür und ließ Igor ein.
    »Hier, Sie können auf das Sofa«, sagte er und wies im Halbdunkel auf ein antikes Polstersofa mit hoher Rückenlehne, in die ein Spiegel eingelassen war, samt einem kleinen Regal für allerlei Nippes.
    »Ich weiß bloß nicht, wo die Bettlaken…«
    »Nicht nötig, eine Decke ist wichtiger«, flüsterte Igor. »Und wo schlafen deine Eltern?«
    Wanja wies stumm auf eine hölzerne Flügeltür.
    [78] Dann sagte er: »Meine Mutter dort, links, und ich – geradeaus.«
    Er verschwand irgendwo und kehrte mit einer wattierten Decke zurück. »Kann ich auch schlafen gehen?«, fragte er flüsternd. »Ich unterschreibe morgen früh, ja?«
    »Ja, leg dich hin! Morgen früh unterschreibst du«, stimmte Igor zu.
    Wanja verschwand. Kehrte aber eine Minute später zurück.
    »Hier, Genosse Milizionär, nehmen Sie, trinken Sie auf die Nacht, für einen tiefen Schlaf!« Er reichte Igor ein volles Glas Weißwein. Säuerlicher Geruch stieg Igor in die Nase. Er unterdrückte eine Grimasse, nahm vorsichtig das randvolle Glas und nippte daran.
    Er nickte Wanja zu. Der jedoch nickte zufrieden zurück und rührte sich nicht vom Fleck.
    »Stammt der aus der Kellerei?«, fragte Igor.
    »Ja«, sagte Wanja. »Unser eigener ist noch nicht so weit… Trinken Sie aus bis auf den Grund, sonst erfassen Sie den Geschmack nicht!«
    Um nicht mit Wanja Samochin darüber zu streiten, wie der Wein richtig zu degustieren sei, leerte Igor mit drei Schlucken das Glas und gab es seinem Gastgeber zurück. Erst darauf verließ Wanja das Zimmer.
    Igor streifte die Stiefel von den Füßen, schnallte den Gürtel ab und zog sich aus, legte die Uniform sorgsam auf einem Stuhl zusammen und kroch schnell unter die Decke. Und dann saugte es ihn wie in eine seltsame Schwerelosigkeit hinaus. Er erschauerte gerade noch, verlor jedes Gefühl von oben und unten, und fiel in einen Abgrund.
    [79] 9
    Mit schmerzendem Kopf wachte er auf. Der Kopf tat nicht einfach weh, er brummte, als wären ein paar Bienen hineingeflogen und versuchten jetzt erfolglos, den Ausgang zu finden, wobei sie von innen mal an die Schläfen, mal an den Hinterkopf, mal über den Augenbrauen anstießen.
    Er schlug die Augen auf, fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn, stemmte sich recht mühsam hoch und setzte sich im Bett hin.
    Vor dem Fenster war es grau, aus dem Nachbarzimmer klang das monotone Murmeln der Fernsehstimmen herüber.
    »Mama!«, rief Igor, und sofort verstärkte die eigene Stimme das unangenehme, schmerzhafte Dröhnen im Kopf.
    Elena Andrejewna sah ins Schlafzimmer zu ihrem Sohn herein. »Was ist, Kind?«
    »Haben wir Aspirin? Mein Kopf platzt.«
    »Hast du gestern getrunken, oder sind das die alten Schmerzen?«, fragte die Mutter kritisch, wenn auch mitfühlend.
    Igor nickte. »Ich hab getrunken.«
    Sie lief in die Küche, wo in dem Schränkchen, in einer Schuhschachtel, kunterbunt die

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