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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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»Nimm, und los!«
    Samochin hob den Schlauch auf, schwang ihn über die Schulter und sah sich nach dem Milizionär um.
    »Wohin?«, fragte er niedergeschlagen.
    »Erst mal zum Busbahnhof!« Mit einer Geste bedeutete Igor dem Burschen, dass der, wie ein echter Verhafteter, vorausgehen sollte.
    Wanja Samochin ging langsam. Er trug eine unbequeme und schwere Last. Wenn man das Eigene schleppte, das war die eine Sache. Aber jetzt war es ja nicht mehr seins! Gern hätte er angehalten, sich umgedreht und noch einmal diesen Leutnant angefleht, ihn laufenzulassen und zur Erinnerung an seine Güte den Weinschlauch an sich zu nehmen! Doch war dieser Leutnant, wie es aussah, ein regeltreuer! Nichts in Blick und Stimme verriet, dass man sich mit ihm einigen konnte.
    Fünf Minuten schritten sie schon durch die Dunkelheit. Nur das Kopfsteinpflaster schlug an die Stiefelsohlen. Samochin blieb stehen.
    »Was ist los?« Von hinten traf ihn die Stimme des Milizionärs.
    »Ich bin müde.«
    [74] »Ist es noch weit?«
    »Zehn Minuten…«
    »Na, ruh dich aus«, sagte Igor leichthin, ganz menschlich, und da regte sich Hoffnung in Wanja Samochin. Es war der erste Satz, den der Milizionär so gesprochen hatte, als trüge er keine Uniform.
    Sorgsam ließ Wanja den Weinschlauch sinken und verschnaufte. »Darf man eine rauchen?«, fragte er.
    Igor nickte.
    »Bloß habe ich nichts zu rauchen«, gestand Wanja Samochin.
    Igor zog ein Päckchen Zigaretten heraus, öffnete es und hielt es ihm hin.
    »Das sind keine von unseren«, entfuhr es dem Burschen erstaunt. »Und Sie sind wohl auch nicht von hier?«
    »Nein.« Igor schüttelte den Kopf.
    »Woher denn?«
    »Aus Kiew.«
    »Aus der Hauptstadt!« Furcht war in die Stimme des Burschen zurückgekehrt. »Heißt das, Sie kommen extra hierher? Zur Kellerei?«
    »Wie denn, steht es dort so schlimm?« Igor verzog die Lippen zu einem halben Lächeln. »Alle klauen? Ja? Schleppen alles weg?«
    »Nein… na, im Kleinen vielleicht… Aber die Leitung ist ehrlich…«
    »Nein, nicht wegen der Kellerei.« Igor beschloss, das Spiel mitzuspielen. »Wegen einer anderen Sache.«
    »Eine andere?«, wiederholte Samochin, der schon den Tabakqualm einsog. »Wegen der Banditen?«
    [75] »Mhm«, bestätigte Igor und sah dem Burschen direkt in die Augen.
    »Ja, davon gibt es jetzt viele hier. Wegen Tschagin, vielleicht?«
    Igor zuckte zusammen, als er den vertrauten Namen hörte, und da zuckte auch der Bursche zusammen, als hätte ihn die Reaktion des Milizionärs erschreckt. ›Es werden jetzt doch nicht alle solche Angst vor Fima Tschagin haben‹, dachte Wanja, ›dass schon Milizionäre aus der Hauptstadt bei seinem Namen zittern!‹
    »Kennst du ihn?«, fragte Igor.
    »Alle kennen ihn… Na, vom Sehen… Aber sonst, nein, wir kennen uns nicht… Was habe ich mit ihm zu schaffen? Ich bin ehrlich…«
    Igor musste lachen. Leise, aber heftig. Es schüttelte ihn vor Lachen, während er auf den Weinschlauch wies.
    »Aber ich raube doch keinen aus… ich bringe niemanden um«, sagte Samochin weinerlich. »Ein einziges Mal habe ich etwas Fremdes genommen…«
    »Irgendwie glaube ich dir nicht.« Igors Stimme hatte wieder die Milizuniform angelegt und erschien sogar ihm selbst ein wenig fremd, kalt. »Die Mutter verkauft auf dem Markt… Du schleppst Wein aus der Kellerei fort… Was verkauft denn deine Mutter?«
    Es war, als verschluckte Wanja Samochin sich an dem Wort, er bekam Schluckauf und ließ die Zigarette los. Sie fiel funkensprühend zur Erde. Wanja bückte sich nach ihr, hob sie hicksend auf, rieb mit den Fingern den Filter ab und steckte sie wieder in den Mund.
    »Verkauft sie Wein?«, fragte Igor wieder und lachte.
    [76] »Wein, ja.« Der Bursche senkte den Kopf. »Eigenen! Wir machen doch welchen, unser Hof hängt voller Reben…«
    »Eigenen und geklauten«, sagte Igor ruhig.
    Dabei merkte er, dass der Blick des Burschen umherflog, als hätte Wanja Samochin beschlossen, sich aus dem Staub zu machen.
    »Nimm den Wein!«, befahl Igor ihm.
    Und die Unruhe verschwand aus Wanjas Blick. Mit einem tiefen Seufzer hob er den Weinschlauch auf, legte ihn auf seine Schulter, sah sich zu Igor um.
    »Weißt du was«, sagte Igor. »Ich werde dich nicht einsperren.«
    Der Mund des Burschen klappte auf, und wieder fiel ihm der Zigarettenstummel vor die Füße. Doch bückte Wanja sich jetzt erst gar nicht danach, hing nur mit dem Blick an Igor.
    »Du unterschreibst mir ein Papier und hilfst mir. Mit Informationen.

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