Der Gärtner von Otschakow
durch eine schmale Senke hinab. Unter den Füßen war Sand, der wegrutschte und einen mit sich hinabzog.
Als er am Meer stand, blickte Igor zurück und sah über seinem Kopf einen Felsen, der über dem schmalen Sandstreifen hing.
Walja setzte sich in den Sand. Igor ließ sich neben ihr nieder und legte einen Arm um ihre Schultern. Sie rückte ein bisschen näher.
»Mit Ihnen sitzt es sich schön und angenehm«, bemerkte sie. »Sie haben eine Pistole, und auch die Uniform steht Ihnen so gut!«
»Darf ich Sie küssen?«, fragte Igor und wandte Walja sein Gesicht zu.
»Nein«, antwortete Walja. »Ich küsse keine Leute, die ich sieze.«
»Aber Sie sagen doch mal ›du‹, mal ›Sie‹ zu mir! Kommen Sie, duzen wir uns«, schlug er entschlossen vor.
»Dazu müssen wir Bruderschaft trinken, und zum Trinken haben Sie bestimmt nichts dabei!«
»Nein«, gab Igor zu. Seine Stimme war traurig geworden.
[152] Waljas Hand legte sich auf seine Schulter, als wollte sie ihn bemitleiden.
»Ihr seid jetzt, nach dem Krieg, alle so Unentschlossene«, sagte Walja. »Wahrscheinlich sind die Mutigen alle umgekommen, und übriggeblieben sind…« Auf ihrem Gesicht erschien ein herablassendes Lächeln.
»Normalerweise bin ich ein entschlossener Mensch«, erklärte Igor und wurde sofort verlegen, als er die Zaghaftigkeit in seiner Stimme hörte.
»Sie meinen, wenn Sie Banditen fangen?«, erkundigte die rote Walja sich ernsthaft.
Igor nickte.
»Gibt es denn so viele davon?«
»Wovon?«
»Banditen.« Walja sah ihm direkt in die Augen.
Igor dachte an Fima und an das, was Wanja ihm über Walja und Fima gesagt hatte, und zuckte die Achseln. Irgendwie gingen in seinem Kopf Walja und dieser Kriminelle nicht zusammen.
»In fünfzig Jahren wird es noch mehr davon geben«, sagte er nachdenklich, nach einer Pause.
»In fünfzig Jahren?!« Waljas Augen wurden groß. »In den Zeitungen steht, dass es schon in zwanzig Jahren keine mehr gibt! Sie erziehen sie alle um und machen Lehrer und Ingenieure aus ihnen, damit sie dem Land Nutzen bringen.«
»Den Zeitungen sollte man nichts glauben«, begann Igor und brach ab. Er besann sich und merkte, dass seine Zunge ihn in die falsche Richtung führte. »Doch. Doch, natürlich soll man dran glauben, an die Zeitungen. Aber man muss auch selber begreifen…«
[153] »Ich mag lieber Bücher. In den Zeitungen gibt es doch nur Fakten, aber in Büchern Fakten und Romantik. Ich habe Wadim Sobko gelesen…«
»Wer ist das?«, fragte Igor verwundert.
»Wie, Sie kennen ihn nicht?! Er ist ein weltbekannter Schriftsteller. Er hat vor Stalins Tod noch zwei Stalinpreise bekommen!«
»Ich habe ihn nicht gelesen«, gestand Igor.
»Schade, ich habe ihn schon in die Bibliothek zurückgebracht… Gehen Sie hin und lassen Sie sich einschreiben! Sonst sind Sie noch wie der Milizionär aus dem Witz!«
»Aus welchem Witz?« Igor tat so, als würde er böse.
»Entschuldigen Sie. Na, aus dem, in dem zwei Milizionäre überlegen, was sie dem dritten zum Geburtstag schenken. Der eine sagt: ›Komm, wir kaufen ihm ein Buch!‹ und der zweite antwortet: ›Lieber nicht, er hat schon eines!‹«
»Ich habe mehr als ein Buch zu Hause«, sagte Igor lachend.
Wie er so lachte, schienen ihm Waljas Gesicht, ihre Augen, ihre Lippen, so kräftig und verlockend-hochmütig, ganz nah. Igor umarmte sie und zog sie an sich. Er versuchte sie zu küssen, spürte aber sofort, wie eine starke Hand ihn aufhielt und wegschob.
»Lieber nicht.« Waljas Stimme klang weich und entschuldigend. »Ich bin nicht gesund… am Ende stecken Sie sich noch an.«
Igor erstarrte verständnislos und erschrocken. »Mich anstecken? Womit?«
»Ich weiß nicht, wie diese Krankheit heißt. Sie geht vom Fisch auf den Menschen über. Mal kommt Husten mit einem üblen Geschmack im Mund, mal tränen die Augen… Und [154] man kann keine Kinder bekommen…« Die letzten Worte stieß Walja mit einem Schluchzer hervor. Als würde sie gleich in Weinen ausbrechen.
Aber sie beherrschte sich, schwieg eine Weile und sah dann hoch zum Himmel. Sterne funkelten dort oben. Weit draußen über dem Meer schwamm ein halber Mond. In seinem Licht blitzte eine kleine Welle auf.
»Und was heißt das?«, durchbrach Igor vorsichtig die Stille. »Kann man das denn nicht heilen?«
»Wahrscheinlich schon. Der Arzt hat gesagt, er heilt mich, wenn ich für ihn meinen Mann verlasse… Aber wie könnte ich das denn?!«
»Da muss man sich über diesen Arzt beschweren!«,
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