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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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verbarg, samt der Befürchtung, dass gleich noch irgendeine Frage folgen würde.
    »Sagen Sie ihm einen Gruß von Irina Wladimirowna, er hat versprochen, uns jemanden zu schicken, der vor den Kindern auftritt…«
    »Ich sage es ihm«, versprach Igor.
    Die Dame im Wollmantel setzte ihren Weg fort, und Igor blickte ihr nach und holte tief Luft.
    ›Wohl der Chef der Miliz, dieser Pjotr Mironowitsch?!‹, dachte er und erhob sich von seiner Bank.
    Wieder spazierte er die Allee entlang. Die rote Walja, wie Wanja Samochin sie nannte, war noch immer nicht zu sehen.
    Igors Hochstimmung, die Vorfreude auf das Fest, ihr Treffen, sank allmählich und machte Nervosität Platz.
    ›Noch zweimal gehe ich die Allee entlang, und dann – zurück‹, beschloss er.
    Und er machte kehrt und schritt ohne Eile Richtung Markt. Plötzlich erschien die Allee ihm allzu bevölkert. Zwei Armeeoffiziere kamen auf ihn zu, hinter ihnen noch irgendwelche Menschen. Die Offiziere salutierten im Vorbeigehen, [149] ins Gespräch vertieft, und Igor hob zur Antwort die Hand an die Mütze.
    »Sie wirken gar nicht froh?« Vor ihm stand plötzlich eine Frau mit Kopftuch. Ihre Augen erschienen ihm ungeheuer vertraut.
    Igor sah in diese Augen und lächelte strahlend.
    »Sie haben sich so verkleidet! Ich habe Sie nicht erkannt! Verzeihen Sie!«
    »Ich kann mich leicht verkleiden«, lachte die Fischverkäuferin. »Ich stecke mein Haar unter ein Tuch, und fertig – niemand kennt mich, niemand sieht mich. Versteck ich es aber nicht, dann sieht mich jeder… Setzen wir uns?« Sie wies mit dem Kopf auf die nächste Bank, zog ihren knielangen beigen Mantel zurecht und setzte sich sofort.
    »Ich hatte Angst, Sie kommen nicht mehr«, gestand Igor ihr und schlug ein Bein übers andere.
    »Haben Sie heute jemanden verhaftet?«, fragte Walja scherzhaft.
    Igor schüttelte den Kopf. »Ich verhafte nicht gern«, sagte er, auf ihren scherzhaften Ton eingehend. »Sie würde ich mit Vergnügen verhaften, aber nur für mich privat!«
    »Was für ein Draufgänger!« Sie lachte wieder. »Wohin würden Sie mich denn bringen, nach der Verhaftung?«
    Igor zuckte die Achseln. »Nicht ins Gefängnis, natürlich.«
    »Oh, vielen Dank, immerhin! Sind Sie schon lang hier bei uns in Otschakow?«
    »Nein, immer nur kurz… auf Dienstreise…«
    »Ah, deshalb sind Sie so kühn! Auf Dienstreise sind die Männer immer kühn, nur nicht in ihrer eigenen Stadt! Das [150] weiß ich! Wären Sie Otschakower, dann hätten Sie erst hundertmal überlegt, bevor Sie mich so angeredet hätten…«
    »Haben die Otschakower Milizionäre etwa Angst vor Ihnen?«
    »Nicht vor mir.« Walja zog ihr Kopftuch zurecht und schob wieder eine rote Locke darunter. »Aber vor meinem Charakter! Ich bin eben eine echte Frau!«
    »Kommen Sie, gehen wir ein Stück!«, schlug Igor vor. »Zeigen Sie mir die Stadt! Ich kenne hier doch nichts.«
    »Nein, die Stadt sollen Ihnen die hiesigen Milizionäre zeigen!« Walja erhob sich von der Bank und sah sich um. »Wir können einen Spaziergang zur Nehrung machen, dort sind nicht viele Leute.«
    »Ja, gehen wir«, stimmte Igor zu.
    Sie wanderten langsam durch den Park, dann das Gässchen entlang, an niedrigen, einstöckigen Häuschen vorbei, in deren Fenstern schon Licht brannte. Der Abend ließ nicht nur die Fenster aufleuchten, an den Kreuzungen brannten auch schon die Laternen. Auch ihr scherzhaftes Gespräch über alles und nichts zog sich langsam dahin, wie im Takt ihres ruhigen Spaziergangs. Igor hatte gar nicht gemerkt, wie das letzte Sträßchen hinter ihnen zurückgeblieben war, zu beiden Seiten des Weges lagen nun Gärten. Danach tauchten aus dem Halbdunkel Bäume auf. Der Wind raschelte in den Blättern. Igor warf einen Blick nach oben. Ein paar Sterne hatten schon den Himmel durchstochen und leuchteten durch diese Löchlein herunter. Igor suchte Waljas Hand, nahm sie behutsam in seine, als fürchtete er, Walja könnte sie fortziehen. Aber sie zog die Hand nicht weg. Und jetzt gingen sie Hand in Hand, und ohne sich einmal anzusehen. [151] Als genössen sie einfach diesen Abendspaziergang und hätten schon daran genug.
    Nach einer halben Stunde hörte Igor das Meer. Wellen schlugen ans unsichtbare Ufer. Waljas Hand war heiß geworden. Igor drückte sie, nicht sehr fest, aber spürte im selben Augenblick, wie fest Walja seine Hand zur Antwort drückte. Fast männlich.
    »Hier müssen Sie vorsichtig sein«, warnte Walja, als sie ihn nach rechts führte.
    Sie liefen

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