Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
auch Wanjas Mutter zum ersten Mal – eine große, stattliche Frau, die zwei riesige Einkaufstaschen trug. Hinter ihr kam ihr magerer Sohn, auch er mit zwei Taschen. Sie schritt sicher aus, und ihre Last schien sie nicht zu ermüden, im Unterschied zu ihrem Sohn. An seinem Gang spürte man die Anspannung, ja physische Qual, als ginge er über ein Hochseil. Kaum waren sie aus dem Gartentörchen und bogen auf der Straße nach links, verließ Igor entschlossen sein Fenster.
    Der Markt schallte wie eine sagenhafte Vogelinsel, nur hatten die Vögel auf dieser Insel deutliche Tenor-, Alt- und Baritonstimmen. Hin und wieder stieg ein dem Ohr ungewohnter Sopran in die Luft, der seine Ware anpries.
    [143] Niemand beachtete Igor, und das gefiel ihm. Wie ein begabter Spion genoss er sein, so schien es ihm, hundertprozentiges Eintauchen ins fremde Milieu. Seine Nase fing fremde Gerüche auf, die hier nur ihm allein fremd waren. Lustige Eigenarten in der Kleidung der Leute fielen ihm auf, eigenartige Formen von Mantelkrägen, sogar die eigenartigen Stoffe ebendieser Mäntel und Jacken. Aber vor allem sah er in den Augen der Leute einen besonderen, fast fröhlichen Glanz, einen Lebenseifer, den er weder in Kiew noch in Irpen jemals bemerkt hatte.
    In der Luft roch es jetzt nach Fisch, und Fischnamen begannen sich aus der Masse all der Wörter zu lösen, die sich schon zu einem Klangbrei vermischt hatten.
    »Flundern, Flundern!«, rief eine unbekannte Frauenstimme.
    Igor beschleunigte seine Schritte und näherte sich den Fischreihen. Er sah Trauben von Grundeln, die vom Schutzdach eines Marktstandes herabhingen.
    »Donauhering, aus dem Fass!«, stimmte im Bariton eine stattliche, kleine Marktfrau im sauberen weißen Verkäuferkittel an, als sie den sympathischen jungen Milizionär erblickte.
    Aber Igor ging vorbei.
    »Krötengrundeln, Krötengrundeln!«, erklang vor ihm fröhlich eine vertraute Stimme.
    In Igors Herz regte sich eine solche Freude, dass er ganz verlegen wurde und fürchtete, Außenstehende würden diese Freude bemerken. Er ging langsamer und blieb stehen, als er die Besitzerin der lauten Stimme erblickte. Er beschloss, sie ein wenig zu beobachten.
    [144] Der scharfe Blick der roten Walja entdeckte den Milizionär jedoch sofort.
    »He, Leutnant! Komm her, hol dir etwas Frisches! Die Flundern vom letzten Mal hast du doch schon aufgegessen!« Sie lächelte breit.
    Igor trat gehorsam hin und betrachtete den Verkaufstisch, über dem sich im Rhythmus eines Dirigentenstabs der Birkenzweig bewegte und von den Fischen die aufdringlich brummenden Fliegen vertrieb.
    »Hier«, die Marktfrau wies mit dem Blick auf eine kleine Reihe Fische mit schrecklichen Gesichtern. »Nimm Krötengrundeln! Deine Mutter brät sie, da leckst du dir die Lippen!«
    »Gibt es denn keine Flundern?« Igor sah in Waljas Augen.
    »Wieso kommst du auch so spät? Die Flundern sind schon weg! Von denen gibt es nie viele. Sag es mir, und morgen lege ich dir welche zur Seite, so viele du brauchst!«, sagte die Marktfrau lächelnd.
    »Legen Sie mir ein Kilo zur Seite«, bat Igor, und sein Blick sank von selbst auf Waljas Brust, die sich schön und rund unter dem weißen Kittel wölbte.
    »Ich erinnere mich gar nicht, dass Sie neulich im Kittel waren«, entfuhr es Igor.
    »Heute ist Hygienekontrolle und Wettbewerb um den besten Marktstand«, erklärte Walja und zupfte ihr rotes Haar zurecht.
    »Und was machen Sie nach dem Markt?«, fragte Igor, als ihm sein letztes Gespräch mit dieser anziehenden jungen Frau einfiel.
    »Was, wollen Sie mich wieder ins Restaurant führen?!«, [145] fragte Walja lachend. »Ich würde ja hingehen, nur wird man uns doch sehen, und dann…«
    Igor freute sich. »Dann vielleicht nicht ins Restaurant?«
    Walja dachte nach und vergaß ihre Fische.
    »Draußen, rechts vorm Tor gibt es Bänke im Park.« Sie blickte in Richtung Marktausgang. »Kommen Sie gegen sechs dorthin, dann sitzen wir dort ein bisschen! Nur lieber ohne Uniform…«
    »Ohne Uniform geht nicht«, sagte Igor kläglich. »Aber um sechs bin ich da! Sicher!«
    Walja nickte und wandte im selben Moment den Blick einer alten Frau zu, die neben ihnen stehen geblieben war und ihre Krötengrundeln begutachtete.
    »Greifen Sie zu! Greifen Sie zu! Für sich selbst oder für die Katze! Die schmecken besser als Sandgrundeln! Das wissen Sie ja!«
    Igor ging davon. Auf seinem Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. Plötzlich ertönte irgendwo in der Nähe ein scharfer Pfiff. Igor

Weitere Kostenlose Bücher