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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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verschwand. Igor ließ die Filmpatrone auf dem Hocker liegen und zog sich an, stand ein paar Minuten am Fenster und sah in den grauen Herbsttag hinaus, der sich, schien es, jeden Augenblick in einen Regen entladen wollte. Das Kopfweh verstummte langsam.
    ›Wie wäre das schön, allein zu leben‹, kam es Igor plötzlich in den Sinn. ›Ohne diese mütterliche Aufsicht und Kontrolle, ohne Ermahnungen, dass man Arbeit suchen muss, ohne Fragen nach neuen oder alten Freunden!‹
    Igor lachte nachdenklich. Er dachte an das Päckchen mit den Zweihundertgriwni-Scheinen, das er von Stepan erhalten hatte. Das waren doch zwanzigtausend Griwni! Für Taschengeld, für Bier und Kaffee war das viel. Um ein eigenständiges Leben zu beginnen, eine Wohnung oder ein [158] Häuschen zu kaufen, war es zu wenig. Und wenn man dieses Geld in ein Geschäft investierte?!
    Das Lächeln verschwand von Igors Gesicht, die Nachdenklichkeit blieb.
    ›Geld in ein fremdes Geschäft stecken ist dumm‹, überlegte er weiter. ›Das kriegt man nicht zurück. Und ein eigenes Geschäft anfangen? Dafür muss man Geschäftsmann werden. Was gebe denn ich für einen Geschäftsmann ab? Gar keinen.‹
    Igor beschloss, nach Kiew diesmal mit dem Zug zu fahren. Der Himmel senkte sich zwar unter dem Gewicht der Wolken, aber Regen gab es noch keinen. Selbst wenn der Regen dann in Kiew losging, wäre das nicht schlimm. Igor nahm einen Regenschirm mit. Früher war er oft mit dem Vorortzug bis zum Kiewer Bahnhof gefahren und dann zu Fuß zum Platz des Sieges hinübergegangen. Dazu musste man hoch auf die Fußgängerbrücke über den Bahnsteigen, von denen die Vorortzüge zum Linken Ufer abfuhren, und wieder hinunter auf die Alte Bahnhofstraße, die sich seit langem in eine Art Ladenzeile für die Vorortsbewohner verwandelt hatte. Dort hatten nicht nur Kioske und kleine Geschäfte Platz gefunden, sondern auch alle Arten von Kleinbetrieben, in denen man das Leben alter, abgelaufener Schuhe verlängern, Uhrbatterien wechseln oder ein Kofferschloss reparieren lassen konnte. Irgendwo dort, in dieser Straße, hatte Igor auch ein kleines Fotostudio gesehen, neben dessen Tür stets eine meterhohe Schautafel mit einer Preisliste lehnte, die anzeigte, wie günstig der Service für das Entwickeln von Filmen und Ausdrucken von Fotos war.
    Zu Igors Freude waren sowohl das Studio als auch die Tafel [159] an seiner offenen Tür an Ort und Stelle. Nur schüttelte der Bursche, der hinterm Ladentisch stand, den Kopf, nachdem er die Filmpatrone in den Händen gedreht hatte.
    »Nein«, sagte er langsam und gab die Patrone zurück. »Das ist irgendein sowjetischer Swema-Film… und auch noch schwarz-weiß. Gehen Sie lieber zu einem richtigen Studio.«
    »Und was ist ein ›richtiges Studio‹?«, fragte Igor ein wenig verdrießlich.
    »Na, Fuji oder Kodak. Das nächste…« Der Bursche überlegte. »Da müssen Sie zur Chmelnitzki oder, noch besser, zum Lwower Platz fahren. Fünf Minuten Kleinbus ab dem Zirkus. Dort gibt es zwei Studios hinterm ›Haus des Künstlers‹!«
    Igor steckte die Filmpatrone in die Jackentasche, warf einen Blick zum Himmel und schritt los, Richtung Zirkus.
    Das Atelier Fuji am Lwower Platz war unendlich respektabler als der Verschlag in der Alten Bahnhofstraße. Und der Mann hinterm Ladentisch zeichnete sich durch einen ernsten Blick und einen teuren Anzug aus. Hinter seinem Rücken summte ein großer computerisierter Entwicklungs- und Ausdruckapparat, der eindeutig aus Japan oder seinen Nachbarländern stammte.
    »Swema?«, sagte der Studioangestellte erstaunt. »Nein«, er wandte sich zu seiner summenden Fotomaschine um. »Der ist bei mir auf Farbdruck programmiert. Hätten wir da jetzt hundert Schwarzweißfilme, dann könnte man…«
    »Heißt das«, Enttäuschung und Verzweiflung mischten sich in Igors Stimme, »ich kann nirgendwo in Kiew diesen Film entwickeln?«
    [160] »Warum nirgendwo? Das habe ich nicht gesagt!« Der Mann lächelte schuldbewusst. »Sie müssen zu den Profis. Sie können es in der Proresnaja 26 versuchen!«
    Igor schob seine Filmpatrone zurück in die Jackentasche, nickte dem gutgekleideten Mann ein wenig niedergeschlagen zu und trat hinaus auf die Straße.
    Vom Himmel begann es zu nieseln. Ein kleiner und verschämter Regen, als wäre es ihm peinlich, dass er so wenig den schweren, tiefhängenden Wolken entsprach, die eindeutig auch zu Gewitter und Platzregen imstande gewesen wären.
    Das Fotostudio auf der Proresnaja hatte

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