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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
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Übereinstimmung war zu auffällig, um Zufall sein zu können.
    Er konnte sich keine Schuld geben. Wer hätte geträumt, daß ein Mann, der ewig leben mochte, die Unsterblichkeit für ein Kind riskieren würde, das er nie gesehen hatte?
     

 
DRITTER TEIL
 
Der Arzt
     
1.
     
    Er erwachte schmerzgepeinigt. In der Magengrube spürte er ein scharfes, zuckendes Brennen. Es zog ihm die Knie an die Brust, verzerrte sein hageres, gelbliches Gesicht.
    Wieder schlug der Schmerz zu. Er stöhnte auf; sein Körper bäumte sich hoch. Langsam ebbte die Qual ab, wie eine zurückweichende Flut, die gefolterten Nervenendungen wie Strandgut zurücklassend.
    »Coke!« schrie der Mann im achtundzwanzigsten Stockwerk.
    Das Wort hallte in dem großen Raum, wurde von der hohen Decke und den holzgetäfelten Wänden zurückgeworfen. Keine Antwort.
    »Coke!« schrie er. »Coke!«
    Irgendwo tönten Schritte, klatschten auf Marmorboden, wurden verschluckt von Teppichen. Sie erreichten das breite, seidene Bett.
    »Ja, Chef?« Die Stimme klang unterwürfig. Der Mann duckte sich. Er wirkte noch kleiner, als er schon war. Die kleinen Augen in dem affenartigen Gesicht glitten hin und her.
    Der Kranke wälzte sich auf dem Bett.
    »Die Medizin!«
    Coke nahm die braune Flasche von dem grauen, metallenen Nachttisch und schüttete drei Tabletten in die zitternde Hand.
    Eine Tablette fiel auf den Boden, er hob sie auf. Er streckte sie dem anderen hin, und der Kranke ergriff sie gierig und steckte sie in den Mund. Coke gab ihm ein Glas Wasser, das er aus einem Silberkrug gefüllt hatte. Der Kranke trank, während sein Adamsapfel krampfhaft zuckte.
    Nach ein paar Minuten setzte er sich auf. Er preßte die Knie an die Brust und keuchte.
    »Ich bin krank, Coke«, stöhnte er. »Ich brauche einen Arzt. Ich sterbe, Coke.« In seiner Stimme schwang Entsetzen mit. »Ruf den Arzt!«
    »Ich kann nicht«, krächzte Coke. »Erinnern Sie sich nicht?«
    Der Kranke runzelte die Stirn, als versuchte er zu begreifen, dann verzerrte sich sein Gesicht, und seine linke Hand zuckte vor. Sie landete in Cokes Gesicht und schleuderte ihn in die Ecke. Dort kauerte er und beobachtete den Kranken mit den flinken Augen einer Ratte.
    »Du hast hier zu sein!« fauchte der Kranke. »Laß dich nicht immer rufen!«
    Er vergaß Coke. Sein Kopf sank tiefer. Er schlug verzweifelt mit der Faust auf das Bett.
    »Verdammt, verdammt!« stöhnte er.
    Minutenlang saß er so da. Coke kauerte in der Ecke, ohne sich zu bewegen. Endlich richtete sich der Kranke auf, warf die schwere Decke zurück und stand auf. Schmerzgebeugt ging er zum Fenster. Unterwegs wimmerte er: »Ich bin krank, ich muß sterben.«
    Er zog an einer dicken Samtkordel; die Vorhänge glitten auseinander. Sonnenschein flutete ins Zimmer, blendete den Kranken; es verwandelte seinen scharlachroten Schlafanzug in Flammen, sein Gesicht in Teig.
    »Es ist schrecklich«, sagte der Kranke, »wenn ein Sterbender keinen Arzt bekommen kann. Ich brauche das Elixier, Coke. Ich brauche etwas gegen diese Schmerzen. Ich halte sie nicht mehr aus.«
    Cokes Blick löste sich nicht von dem großen, hageren Mann, der in der Sonne stand und blindlings über die Stadt hinausstarrte.
    »Besorg mir einen Arzt, Coke«, sagte der Kranke. »Es ist mir egal, wie du das machst. Bring ihn her.«
    Coke raffte sich auf und hastete aus dem Zimmer. Der Kranke starrte zum Fenster hinaus, ohne ihn zu hören.
    Von hier aus waren die Ruinen nicht so deutlich erkennbar. Die Stadt sah beinahe noch so aus wie vor fünfzig Jahren. Aber wenn man genau hinsah, erkannte man die Löcher in den Dächern, die Stellen, wo die falschen Porzellanfassaden abgebröckelt und die Ziegel dahinter auf die Straße hinuntergestürzt waren.
    Auf der Twelfth Street war kein Durchkommen mehr möglich. Schuttberge versperrten den Zugang zu vielen anderen Straßen. Die Hand der Zeit wirkt nicht so schnell wie die des Menschen, aber sie ist unbarmherziger.
    Der bogenförmige Verlauf der Südwestautobahn zog den Blick auf sich wie eine Bewegung, hellschimmernd durch die graue Farbe des Verfalls. Das medizinische Zentrum war hinter den Anhöhen im Süden verborgen, aber der Komplex auf Hospital Hill funkelte im Sonnenlicht.
    Er war eine Insel, die sich aus einer stinkenden See erhob, eine Enklave des Lebens in der sterbenden Stadt.
    Der Kranke starrte hinunter auf die ersten Spuren des Smogs, die vom Fluß heraufzogen, zu der riesigen Festung auf dem Hospital Hill zu gelangen versuchten.

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