Der Gandolfo-Anschlag - Ludlum, R: Gandolfo-Anschlag
überlegte Sam, weil er einfach nicht in dem Zustand gewesen war, um es selbst zu tun. Das Wahnsinnige seiner Lage hatte ihn zu einer Schlacht gegen eine Flasche Scotch veranlaßt. Und er hatte die Schlacht verloren. Das einzige, woran er sich erinnerte, war der Auftrag, daß er den verdammten Partnerschaftsvertrag an Hawkins zur Post bringen mußte.
Das Kempinski-Hotel in Berlin war gleichsam die teutonische Version des alten Sherry Netherland in New York, nur mit einer etwas gröber wirkenden Einrichtung. Die schwellenden Sessel in der Halle schienen eher aus Beton gegossen als aus Leder gefertigt zu sein. Dennoch schrie es nach Geld, poliertem Holz und schrecklich korrekten Angestellten, von denen Sam wußte, daß sie ihn und seine schwächliche Demokratenseele haßten.
Am Empfang wurde er effizient und schnell abgehakt. Ein unfreundlich wirkender, alternder SS-Oberführer geleitete ihn zu seinem Zimmer, wobei der Mann seinen Koffer behandelte, als enthielte er koscheres Essen. Sobald sie die Suite betreten hatten (sie war riesig — Mac Hawkins ließ ihn wirklich Erster Klasse reisen), ließ der Oberführer in den verschiedenen Räumen die Jalousien hochrattern und strahlte dabei die Autorität eines Mannes aus, der es gewöhnt war, einem Erschießungskommando Befehle zu erteilen. Devereaux, der um sein Leben fürchtete, gab ihm ein viel zu reichliches Trinkgeld, führte ihn zur Tür, als wäre er ein diplomatischer Gast, und verabschiedete sich mit einem wohlerzogenen >Auf Wiedersehen‹.
Er öffnete seinen Koffer. Anne war darauf bedacht gewesen, ihm eine Flasche Scotch in ein Savoyhandtuch einzuwickeln. Wenn es je eine Zeit gab, das Unverdauliche in sich aufzunehmen, so war sie jetzt gekommen. Man brauchte nicht viel, nur ein kleines bißchen, um den Motor wieder in Gang zu bringen. Es klopfte an der Tür. Sam erschrak so sehr, daß er einen Mundvoll Whisky über das Bett hustete. Er verkorkte die Flasche und suchte verzweifelt nach einem Platz, an dem er sie verstecken konnte.
Unter dem Kopfkissen! Aber darüber lag die Bettdecke. Er hielt inne. Was tat er hier? Was zum Teufel war mit ihm los? Was passierte mit ihm. Verdammt noch mal, MacKenzie Hawkins!
Er holte tief Atem und stellte die Flasche langsam auf die Kommode. Dann atmete er noch einmal tief durch, öffnete die Tür und stieß sofort und unwillkürlich die ganze Luft aus, die er in den Lungen hatte. Vor der Tür stand die blonde Aphrodite aus Palo Alto, Kalifornien, die in seiner Erinnerung als >Klein und Spitz< katalogisiert war. Die dritte Mrs. MacKenzie Hawkins. Lillian.
»Ich wußte doch, daß Sie das sind! Ich sagte zu dem Mann am Empfang, daß Sie das sein mußten !«
Sam war nicht mehr so sicher, weshalb er Lillian als >Klein und Spitz< eingestuft hatte. >Klein< war der Dame gegenüber
ungerecht. Vielleicht war es nur ein Relativadjektiv im unmittelbaren visuellen Vergleich mit den sechs anderen.
Diese absurden Gedanken gingen Devereaux durch den Kopf. Und — das war ihm sehr bewußt — er starrte sie dabei an wie ein Zwölfjähriger sein erstes Sexmagazin, während Lillian ihm gegenübersaß und ihm erklärte, daß sie vor drei Tagen nach Berlin geflogen wäre, um dann dort an einem zweiwöchigen Kochkurs für Feinschmecker teilzunehmen.
Es war natürlich unglaublich. Schließlich war er ein erfahrener Anwalt. Er hatte Dutzende von Verbrechermentalitäten analysiert, hatte in allen Bereichen des gesellschaftlichen Dschungels von fähigen Lügnern die Schichten des Betrugs abgestreift. Trotz seines ausgepumpten Verstandes und ebensolchen Körpers war er nicht der Mann, der sich so leicht hinters Licht führen ließ. Und er würde das auch die dritte Mrs. MacKenzie Hawkins wissen lassen — und wie er das würde ! Er starrte sie noch schärfer an und zuckte dann im Geist mit den Schultern. Was soll’s?
»Da sind wir also, Sam. Ich darf Sie doch Sam nennen, oder darf ich nicht? Es ist wirklich erstaunlich, wohin einen die Liebe zur Kochkunst führen kann.«
»Aber es ist völlig plausibel, Lillian! Das ist es ja, was Zufälle so wahrhaft macht!« Sam lachte leicht hysterisch und gab sich große Mühe, seine Augen unter Kontrolle zu halten. Er war einfach zu erschöpft, um damit Erfolg zu haben; und so gab er es einfach auf und ließ seinen Augen freien Lauf.
»Und ich wüßte wirklich nicht, wie man Berlin besser kennenlernen könnte. Wenn wir Glück haben, finden wir vielleicht sogar einen Tennisplatz! Ich höre, daß das Hotel
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