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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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dieser Hobos«, sinnierte Rokeach.
    »Ja«, sagte Tommy. »Die Songs sind die Männer. Dazwischen soll es keinen Unterschied geben.«
    »Verstehe, ich überlege bloß, ob das rechtliche Probleme auslösen kann und ob ihr sie ändern solltet. Aber darum« – Rokeach erhob eine buddhistische Hand, vielleicht auch die eines Apachen aus Hollywood – »können wir uns später noch kümmern.«
    »Die Form hab ich Living Blues genannt«, sagte Tommy. »Es geht darum, dass meine Stimme in den Hintergrund tritt und nur noch Zeugnis ablegt.«
    »Gefällt mir, wie du die Sache beschreibst, aus meiner Sicht ist das ein hochattraktiver Stoff, ein sehr engagierter Stoff, und ich möchte daran unbedingt mit dir arbeiten, Tommy. Und deswegen glaube ich, dass wir gegenüber deinen Brüdern einen klaren Kurs fahren müssen, verstehst du das? Deine Auserkorene hat mich schon verstanden, wie ich sehe. Vielleicht hat sie dir auch schon gesagt, was mir dazu einfällt.«
    Miriam lächelte.
    »Sie will, dass ich es selber sage. Sie macht mich nervös, Tommy, auf eine gute Weise. Die schweigende Partnerin. In Verhandlungen ist das eine allgemein unterschätzte Technik. Man lässt sie kommen.«
    Das kleine, gerahmte Aquarell vom Berg Fuji tat nichts zur Sache, Rokeach war alles andere als Zen. Der gerissene Kerl war verunsichert, weil Tommy eine Jüdin mitgebracht hatte. Ich habe dem Juden eine Jüdin gebracht, dachte Tommy, ich habe meine eigene Jüdin mitgebracht. Scheiß drauf, die Rätsel dieser Rätselstadt zu lösen, heirate einfach ihren Inbegriff, ihr Geistwesen. Miriam Zimmer war für New York, was der Grüne Mann für den Wald war, war für Sunnyside Gardens, was das Einhorn für seinen umfriedeten Garten war. Ich heiratete das jüdische Einhorn! Er legte die Finger auf die Saiten, und ohne sie zu bewegen, gingen ihm die Worte zu den Griffwechseln durch den Kopf: Hab dir eine Jüdin gebracht, da hast du nichts mehr gedacht. Alles Reden, alles Denken wurde ihm jetzt zu Songs.
    »Du musst sie fallenlassen.«
    Vielleicht nicht alles Reden.
    »Sofern es nicht tabu ist, laut auszusprechen, was wir alle denken.«
    Miriam machte das erste Mal den Mund auf, seit sie vorgestellt worden war und sich gesetzt hatte: »Mr. Rokeach meint, du solltest bei den Gogan Boys aussteigen, Tom.«
    »Warren, bitte. Siehst du, ich wusste doch, dass hier noch ein funktionierendes Gehirn im Raum ist. Dich hab ich reden gehört, aber siehab ich jedes Mal denken gehört, wenn du ein Wort gesagt hast. Du solltest auf deine junge Dame hören, Tommy. Ich wünsch euch übrigens alles Glück der Erde.«
    Tommy fühlte sich wie in einer Art Delirium. Natürlich war er hergekommen, um sich genau das sagen zu lassen. Oder hatte sich von Miriam bringen lassen, denn wie Rokeach nur zu deutlich sah, war sie es, die Tommy angestachelt hatte, um diese Privataudienz zu bitten.
    »Die Gogan Boys sind die mit Abstand schmalzigste Band, die ich repräsentiere, Tommy. Ich vertrete sie weiter aus alter Treue und Erheiterung und weil ich ihnen verlässlich Auftritte besorgen kann, was auf allen Seiten für gutes Karma sorgt, aber das Programm führt absolut nirgends hin. Als du bei den beiden eingestiegen bist, war das das Beste, was ihnen passieren konnte. Was 1956 schmalzig war, als Peter und Rye hier reinmarschiert sind, war für 1956 gutes Schmalz – Eisenhower-Exotika. Irland war das Maximum an Bohème, was damals zu verkraften war. 1960 ist Irland so abgestanden wie der Kartoffelbrei von gestern. Da könnten die Gogan Boys genauso gut ’ne Rock’n’Roll-Band sein.«
    Was war in letzter Zeit von neuen Stadien des Deliriums ausgenommen? Tommy war berauscht davon, wie die nackten Körper von Miriam und ihm auf der nackten Matratze auf dem nackten Boden aufeinander reagierten, vor den Fenstern ohne Vorhänge, was aber nichts machte, weil sie auf dem Boden außer Sicht lagen und die Nacktheit der unmöblierten Wohnung in der Mott Street einen Minimalismus darstellte, der nicht so erzwungen war wie Rokeachs Zen-Büro. Tommy war auch berauscht von den Einzelheiten der Obdachlosen in den Zimmern der Notschlafstelle, vom Gewebe ihres Leids und was es seiner Kunst gebracht hatte. Solche Gaben erhielt man nicht durch ein Versehen. Zum ersten Mal hatte Tommy das Gefühl, bei einer Band nicht nur als besserer Statist auf der Bühne zu stehen, sondern ein Musiker zu sein. Bei den beiden Juden hier war er gut aufgehoben. Wenn Tommys Gaben eher passiver Natur waren, wenn er weniger

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