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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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neben der Tür. »Ich heiße Miriam Zimmerfarbstein, bin Mitglied von Studenten Gegen Kitsch, und es tut mir furchtbar traurig, Guter Bruder Gogan, dass mein Kollege und ich uns gerade erlaubt haben, deinem Einhorn die Freiheit zu schenken .«
    »Wie bitte? Meinem Einhorn?«
    »Sie meint … deinen Leprechaun«, brachte Tommy heraus, und bei dem Wort mussten Miriam und er so lachen, dass sie sich, wie sie da in ihren tropfenden Schuhen und Hosenaufschlägen an der Tür standen, gar nicht wieder einkriegen konnten. Sie sanken sich in die Arme, die Mäntel fielen wie ein zusammengesacktes Zelt, beider Verstand löste sich im übersprudelnden Frohsinn auf, alles verflüssigte sich, nur dass Tommy in ihrer Verknäuelung zum ersten Mal seinen Ständer spürte, der sich wie ein Ziegelstein nach dem Zuhause in der Mauer sehnte, und dann kam Miriam auf die Füße und verließ ihn da und dort, richtete sich weder Haare noch Mantel, sah ihm nicht in die Augen, sondern sagte nur: »Ich muss dann mal wieder. Gute Nacht, ihr beiden Gogan Boys«, lief die Treppe hinab und war verschwunden.
    »Weiß dein Bruder davon?« Mit »Bruder« meinte Warren Rokeach Peter. Rye würde das eh nicht jucken. Sie saßen auf gewebten Matten in Rokeachs Büro, wo Tommy erst zweimal gewesen war, einmal vor fast drei Jahren, direkt von der Penn Station hergeflitzt, um seinen neuen Namen unter den Rahmenvertrag zu setzen, und dann noch mal ein paar Monate später, als sie den Mann trafen, der bei Vanguard Records für Artist & Repertoire zuständig war, um den Vertrag für Ein Abend am Kamin mit den Gogan Boys zu unterschreiben. Das Büro hatte sich massiv verändert. Damals war es ein Bienenstock professioneller Effizienz gewesen; an die Wände waren Flugblätter gepinnt, die an ganze Listen von Bands erinnerten, denen Rokeach zu ihren Karrierehöhepunkten verholfen hatte, die in der Carnegie Hall und der Town Hall aufgetreten waren, Hochglanzporträts, Entwürfe für Album-Cover, Metallaktenschränke mit überquellenden Schubladen, ein breiter Metallschreibtisch, auf dem sich Papiere und Demobänder stapelten. All das war verschwunden und durch ein niedriges Tischchen aus schlichtem hellem Holz ersetzt worden, an dem sich Tommy, Miriam und Warren Rokeach im Schneidersitz niedergelassen hatten und aus henkellosen Tassen Tee tranken, der nach Tischlerleim roch. Rokeach war an die Westküste geflogen; Rokeach hatte sich mit Alan Watts angefreundet; Rokeach »setzte sich intensiv mit dem Zen-Buddhismus auseinander«; zugunsten von Japanalia hatte Rokeach sein Büro von allen Hinweisen auf das Streben, die Selbstbeweihräucherung und die Neurose befreit – von allen Aspekten, die von seiner Persönlichkeit vor der Buddhifizierung kündeten. In Warren Rokeachs Gesicht, Stimme und Gewohnheiten blieben aber die Jahrzehnte der Selbstbezüglichkeit eingegraben, in denen er kein Blatt vor den Mund genommen und man nach einem Händeschütteln immer kontrolliert hatte, ob noch alle Finger dran waren. Auch der Anspannungswurm der Venen an seinen flachen hohen Schläfen war unbuddhifiziert geblieben. Rokeachs Fingerspitze besuchte den Wurm und strich dann am Rand des sauber gestutzten graumelierten Barts entlang. »Du musst dich entscheiden, was genau du mit diesem Deal beabsichtigst,
    denn so wie ich das sehe, gibt es in der Angelegenheit keine halben Sachen.«
    »Ich hab gedacht, du könntest dir mal meine Songs anhören«, sagte Tommy. »Ich möchte einfach das machen, was für dieses Material das Beste ist.«
    »Für dieses Material das Beste, hast du gedacht, ja? Was bei mir ankommt, ist, dass ich für dich das Denken übernehmen soll.« Rokeachs Augen schossen zu Miriam hinüber. »Deine Freundin hier beißt sich auf die Zunge. Sie will für dich einspringen – sie hat einiges an Denken übernommen.«
    »Wir heiraten im Dezember.«
    »Das ist toll, aber du hast schon einen Manager. Schon gut, war nur ’n Scherz.«
    Tommy saß auf der Matte nicht sehr bequem, seine Gitarre ragte über den verspannten Knien hoch, und er hatte schon »Alfonso Robinson«, »Bernard Bibbs« und »Howard Ealy« gespielt sowie »Overture to Bowery of the Forgotten«, die Eröffnungsnummer des Albums, also die vier Songs von Bowery of the Forgotten: A Blues Cycle, die für ein Vorspielen schon ausgereift genug waren. Am Finale, »To Pass Beneath the Bower«, arbeitete er noch. Warren Rokeach hatte dagesessen, genickt, manchmal die Augen geschlossen, sich die Schläfen

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