Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
massiert, und dann hatte er angefangen, Fragen zu stellen, und Tommy hatte ihm alles in einem ähnlichen Adrenalinrausch erklärt wie dem, in dem er das Songgestöber komponiert hatte, wie dem, in dem er die letzte Zeit gelebt hatte.
Die Songs, musste Rokeach wissen, waren nach Männern benannt, echten Männern, die Tommy und Miriam in ihren Notschlafstellen an der Bowery interviewt hatten, ein Exzess der Inspiration, der sich direkt aus dem ersten Tag ergeben hatte, den sie gemeinsam im Wohnzimmer des Reverends, in der Subway und später dann oben bei Peter und unten auf der Straße verbracht hatten. Dem Tag des Sturms. Tommy erklärte weiter: Diese Songs waren nicht nur dokumentierte Kurzauftritte dieser von der Gesellschaft ausrangierten Männer, die ineiner bestimmten Notschlafstelle übernachteten, sondern Allegorien des Individuums, das in das knirschende Getriebe der amerikanischen Maschine geraten war, die Tommy mit einem Henry-Miller-Zitat in einem Song als den »klimatisierten Alptraum« bezeichnete. Dass Tommy und Miriam sich liebten, wurde nicht verheimlicht – sie streichelten einander die Knie, und ihre Körper rankten zueinander wie Reben zum Sonnenlicht. Dass Tommy und Miriam mittags meistens schon so high waren, dass sie eine Trittleiter brauchten, um sich am Hintern zu kratzen, musste Rokeach nicht gesagt werden. Das war jetzt in seinem Büro nicht anders, und er sah, was er wollte.
Tommy hatte inzwischen eine eigene Wohnung an der Mott Street. In der Wohnung mit den Durchgangszimmern, die sie sich mit zwei Studentinnen teilte, schaute Miriam nur noch so selten vorbei, dass seine neue Wohnung eigentlich ihre gemeinsame war. Tommy hatte noch nie ganz für sich allein gewohnt und war vor dem gemeinsamen Paradies in der Mott Street vom Internat über die Navy-Koje und Mrs. Powell’s zu Peters Klappbett weitergezogen. Kam er dazu, das zu bereuen? Eine Fußnote. In den Monaten März und April hatten Miriam und er seinen Versuchspersonen nachgestellt und mit übellaunigen Heimleitern hinter Glasfenstern verhandelt, waren in Zimmer vorgedrungen, die erschreckend verwahrlost waren und stanken, in denen Bohnen in Aluminiumtöpfen auf Campingkochern anbrannten, wo die Toiletten auf den Fluren dauerhaft von Junkies verbarrikadiert waren und man aus den rückwertigen Fenstern und auf den Feuerleitern pisste und anscheinend auch schiss. Sie brachten Geschenke mit: Burger aus dem White Castle in fettfleckigen Tüten, Marlboro-Päckchen, saubere Socken oder Plastikkämme und andere kleine Artikel des täglichen Bedarfs. Sie boten leibliches Wohl und bekamen phantastische Auskünfte. Miriams Unerschrockenheit erreichte Dinge, die Tommy nie für möglich gehalten hätte. Ihr Charme öffnete abgeschottete Herzen für die Befragung, während ihr Ohr für den wirren, gebrochenen Dialekt der Nichtsesshaften übersetzte, was er nie verstanden hätte, wenn er dasaß und Wendungen in sein Notizheft kritzelte.
Es gab weiße und schwarze Männer, und alle legten Wert auf die Unterscheidung. Waren sie auf den Riffen der Bowery auch gestrandet wie Robinson und Freitag, die eine Gruppe der Kastenlosen brachte doch immer noch Vorurteile gegen die andere auf, und immer trug die andere die tieferen Stigmata. Tommy und Miriam verteilten Burger gerecht an alle Kommenden, aber wenn es an das Projekt ging, Lebensgeschichten zu sammeln, bevorzugten sie die Nachkommen der Sklaverei. Wir haben unsere eigenen Schwarzen.
Die Bowery war ein Mississippidelta vor der eigenen Haustür. In den Staub mit Juden und Schwarzen.
Endlich beteiligte sich das Mauerblümchen am Tanz!
Howard Ealy hatte gesagt, er stamme von äthiopischen Königen ab, sei das erste schwarze Mitglied der IWW gewesen und hätte mal einen Anzug für Theodore Roosevelt höchstpersönlich geschneidert. Alfonso Robinson, Garküchenkoch und Verfechter der Phrenologie, schenkte ihnen menschliche Figürchen, die er aus gebrauchten Streichhölzern schnitzte und die kleine Splitterpenisse hatten. Bernard Bibbs setzte noch eins drauf und entblößte sich nach dem Interview im Korridor vor Miriam, aber sein Material war einfach zu gut, und sie trugen es ihm nicht nach.
Tommy fragte sich, ob er Miriam wohl je erzählen würde, dass sie als Jungen in Ulster Katholiken als Nigger bezeichnet hatten.
Du warst immer selbst schuld, wenn du dein Leben mal wieder verbockt hast, was?
Aber jetzt nicht mehr, mit ihr nicht mehr.
»Die Namen in den Songs sind also die richtigen Namen
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