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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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Er berief sich auf ein versunkenes Universum, das nur Miriam überhaupt noch kennen konnte, und auch sie nur widerwillig. »Spielst du noch?«
    »Wie bitte?«
    »Schach.«
    »Ich hab’s in letzter Zeit etwas vernachlässigt.«
    »Gut, das ist nämlich alles imperialistische Propaganda und lehrt dich nichts, als ein Patt auszukosten. Jetzt musst du nur noch deine Klamotten da loswerden, einen Tarnanzug anziehen und dich von den Sandinisten hier rekrutieren lassen. Sie sind zwar die reinen Schießbudenfiguren, aber die Aufmachung kann dir das Leben retten, falls das Proletariat plötzlich die Macht über die Produktionsmittel an sich reißt.«
    Cicero starrte ihn an. Gut, dachte Lenny. Du verlegst dich aufs Schweigen des Schwarzen, ich verlege mich aufs Labern des Juden. Jeder nutzt, was ihm von Geburt an zusteht. Nicht viel, aber es kann uns nicht genommen werden.
    »Lass stecken, Lenny«, sagte seine Kusine. Im Tarnanzug sah sie aus wie ein Playmate im Ramparts. »Heute wollen wir feiern. Als Aktivisten haben wir unsere Haut schon zu Markte getragen.«
    »Solange du noch merkst, dass es ein Markt ist. Inwiefern wart ihr Aktivisten?«
    »Wir kommen gerade von der Kundgebung für die Volksfeuerwache. Der Sieg ist ein Jahr her, aber wir wollten Koch darüber in Kenntnis setzen, indem wir bei der Halloween-Parade damit auf die Straße gehen.«
    Er tat das ab, Lincoln, der mit einer nachlässigen Geste sklavische Vorstellungen befreite. »Für mich ist das ja nichts, organisierte Aktionen mit Kasperlespielen zu vermischen. In den Dreißigern hattet ihr eure Wandmalereien, in den Fünfzigern Hackbretter und jetzt in den Siebzigern Pappmaché. Richtiger Marxismus gefällt mir da besser.« In Wahrheit hatte Lenny nur eine diffuse Vorstellung davon, wofür Miriams geliebte Feuerwachenbesetzer eigentlich gekämpft und was sie erreicht hatten, und so genau wollte er es auch gar nicht wissen. Fand man irgendwo mehr Gojim als unter Feuerwehrmännern? Kein Quadrant der Stadt war doch antisemitischer als die polnische Enklave in Northside. Er hatte Gerüchte gehört, die polnische Tageszeitung brächte immer noch hitlerfreundliche Leitartikel.
    »Du hättest ein paar Nächte bei der Besetzung mitmachen sollen, das war echt inspirierend. Eine legitime Aktion, nicht bloß leeres Gerede.«
    Lenny konnte sich nicht bremsen, war wie berauscht von ungehinderter Präsidentschaftsautorität, beugte sich vor, flüsterte und begrabschte sandinistische Titten. »Bei mir bekommst du eine legitime Aktion.«
    »Lass den Scheiß, Lenny.« Sie stieß ihn zurück. Er stolperte in einen Trupp bärtiger Ballerinen. Tommy ignorierte ihre Katzbalgerei – blind oder amüsiert, wie er es immer gewesen war, wenn er Zeuge von Lennys Ansprüchen auf Miriam wurde. Nur Cicero bekam es mit, und sein Blick verurteilte ihn, sein Gesicht war noch zu gut für die gefleckte Maske. Der irische Folksänger griff wenig galant unterdessen nicht zu Miriams Verteidigung ein, gaffte stattdessen das kostümierte Volk an und wies seinen Sohn, der unter seinen Hörnern die Augen aufriss, diesen pazifistischen Wasserbüffel oder was auch immer er darstellte, auf besonders ausgefallene Freaks hin. Jede Minute wurden es mehr, ein Anblick wie bei Bosch oder Brueghel, nur dass hier weit mehr Männer mit Brüsten unterwegs waren. Überall Männer mit Brüsten, bis auf Lenny – aber vielleicht war das die Lösung, vielleicht sollte er sich auch welche wachsen lassen oder sich wenigstens einenausgestopften BH umbinden, damit er was zum Befummeln hatte. Er drehte langsam durch.
    »Ich kann mir nicht helfen, Mim, aber im Angesicht des Todes habe ich meine Prioritäten ein bisschen zurechtgerückt.« Er spürte seinen Schwanz durch die Hosentaschen. »In deiner Haut möcht ich mal stecken – kennst du den schon, Mim? Kapierst du? Ich möchte in deiner Haut stecken.« Wenn er sich auf den Gehweg niederließ, ihr Bein umklammerte und fünfzehn Sekunden lang wie ein Hund drauflos stieß, konnte er sich vielleicht von den Qualen eines ganzen Lebens befreien. Wenn er in seinem Lincoln-Anzug kam, war das dann eine nachträgliche Verführung? In diesen Bacchanalien wäre es jedenfalls nichts Außergewöhnliches.
    »Im Angesicht welches Todes?«
    »Hast du mir überhaupt nicht zugehört?«
    »Die Typen von der IRA?«
    »Ich muss in den Untergrund gehen. McCarthy hab ich ja in aller Öffentlichkeit überstanden, aber diese Typen wissen, wo ich wohne.«
    »Ich wusste gar nicht, dass

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