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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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genau.
    Lenny stieg an der 14th Street aus und promenierte, mit seinem Zylinder als Kubrickschem Monolithen verkleidet, nach Westbeth zurück. Das konnte man als Ablenkungsmanöver sehen. Auf seiner Reise Umwege zu wählen, war genauso wichtig wie der Bart: Heute Abend war die ganze Insel Lennys Tarnung. Die Wichte, die ihm besonders nah auf die Pelle rückten, fühlten sich in Manhattan nicht wohl, was ihm einen enormen Startvorteil verschaffte, und an Halloween gaben die Tiefen ihrer Verlegenheit einen guten Tarnmantel für ihn ab.In seinem gegenwärtigen Erscheinungsbild wirkte Greenwich Village auf die Wichte wahrscheinlich schon an jedem normalen Abend wie Halloween, denn die waren ja in einer Phantasiewelt der Eisenhower-Zeit steckengeblieben. Ihre Hirne hatten sie seitdem abgeschaltet, alles was danach gekommen war, inklusive Astronauten, Hippies, Metalldetektoren, Miniröcke, die Concorde und der Krügerrand, alle diese Rauschmittel der Moderne konnten sie nicht verstehen. Lenny hatte den Befehl erhalten, den Bezirk Queens bis zum folgenden Tag nicht zu verlassen, wenn der Oberwicht alias Gerry Gilroy »ein Wörtchen mit ihm reden« würde – dieser Euphemismus war das, was ein irischer Mafioso aus Queens unter subtilem Mahnen verstand, und für Lenny der wichtigste Grund, die Beine in die Hand nehmen und ähnlich wie Hoffman und Leary, die Visionäre, die die schwindenden Jahre des Jahrzehnts nicht mehr so simpático fanden, in den Untergrund zu gehen.
    Beim Wiederaufstieg aus der Subway kam er an einem Hexenzirkel vorbei, der ihn theatralisch grüßte und vor einem der Ihren die schwarzen Hüte schwang.
    Lenny mochte seine Nase. Er mochte der einzige sein, der sie zu schätzen wusste, na und? Er gehörte auch zur Anhängerschaft seiner verschorften Knie und der platten, aber effizienten Daumen; er genoss es, ohne Gehstock zu gehen und ohne das Stechen von Rippenbrüchen oder Milzrissen atmen zu können. Also hatte er Schabbesdeckel und Bart angelegt und sich in die Geschichte verdünnisiert. Werde der Mann auf dem Penny, die Kupfermünze zwischen den Sofakissen, überall und unbeachtet – sei unterbewusstes Geld. Statt aufs Land zu ziehen, würde sich Lenny in aller Öffentlichkeit verstecken wie Peter Sellers im Partyschreck, ein Zimmer in Miriams Stadthaus in Alphabet City beziehen und bei den bemalten Elefanten hausen. Er war genauso ein abtrünniger Bürger wie die Kommunarden, konnte ihnen wahrscheinlich noch das eine oder andere über wahren Kommunismus beibringen und im Gegenzug in die Dauerorgie aufgenommen werden, die er sich viel zu lange versagt hatte.
    In einem Wohnheim von Stony Brook hatte Lenny es 1974 oder auch ’75 mit einem Blumenkind getrieben, das er auf dem LIRR-Bahnsteig kennengelernt hatte, nachdem es sich im Nassau Coliseum ein Pink-Floyd-Konzert und wahrscheinlich auch eine Pappe Owsley reingezogen hatte. Er war im Auftrag von Schachter’s Numismatics in der Vorstadt unterwegs gewesen. Im Bett nannte sie ihn »Daddy«, und die Beine des hobbitartigen Mädchens waren fast so behaart wie seine, was einiges heißen wollte.
    Nicht, dass es Lenny gestört hätte.
    Lenny hatte auch ein Haarbüschel im Kreuz, das immer mehr wie ein Affenpelz aussah.
    Lenny hielt Miriams Kommune für eine Brutstätte solcher Ischen. Und von denen wollte er welche abhaben. An der Orgie teilnehmen, bei der Haare an ungewöhnlichen Körperstellen egal waren. In seiner zickigen Verschmähtheit hatte er sich viel zu lange von seiner Kusine Miriam und ihrer Generation abgewandt. Er wollte kiffen, weil das jetzt alle machten. Bei MacDougal Chess hatte er fünf Jahre zuvor Hausverbot bekommen, weil er betrogen, kleine Wetten abgeschlossen und allzu lärmige Blitzpartien gespielt hatte, die die zahlende Klientel störten, also hatte er sich gesagt: Scheiß auf Schach. Jetzt war er bei Schachter’s an der 57th Street achtkantig rausgeflogen und sagte sich: Scheiß auf Münzen. Lenny würde Miriams rothaarigem Jungen helfen, Briefmarken von Postkarten abzulösen. Vielleicht stieß er eines Tages ja auf eine Blaue Mauritius. Und jetzt wurde Lenny in Sunnyside von Gilroys Wichten gejagt, also sagte er sich: Scheiß auf Queens. Scheiß auf die Amnesie der Kommunisten, die praktischerweise vergessen hatten, dass sie mal Kommunisten gewesen waren, Immigranten, die vergessen hatten, dass sie Immigranten waren, Paddys und Polacken, die jetzt den Mongolen, Koreanern und Türken die Daumenschrauben anlegten, als wäre

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