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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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Satzfehler zu korrigieren; im Zuge der Revision hat der Letzte Kommunist eine goldene Fußnote eingefügt, die die Macht hat, seine gesamte Expedition durch die Planetenzeit zu erlösen. Denn es kann doch einfach nicht angehen, dass der Letzte Kommunist bei seinem Ableben nichts als eine Monographie vorweisen kann, oder jedenfalls nicht so fehlergespickt und von exzessiver Unterwürfigkeit wie die erste Auflage, aber wenn er diese Fußnote einfügen kann, in der er Karl Marx und David Akers auf waghalsigeWeise mit seinen ursprünglichen Forschungen zum okkulten Erbe des Goldstandards verschmolzen hat, dann kann er guten Gewissens abtreten. Marx nannte das Geld einst »einen Schleier«, doch das heißt einem oft zu hörenden Missverständnis zum Trotz nicht, dass man nur hinter das Geld schauen müsste, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen; wir müssen den Blick vielmehr auf den Schleier richten, der aus materialistischer Perspektive ein Ding für sich ist. So beginnt die goldene Fußnote, die vor den Augen des Träumers ausformuliert wird. Um noch einmal Marx zu zitieren: »Die einfache Warenform ist daher der Keim der Geldform«; was aber ist dann die einfache Warenform? Gold. Die Substanz, die in der Erde selbst wurzelt und doch eine alchemisch bindende Kraft auf unsere Sinne ausübt und verlockend metaphysische Eigenschaften verspricht; im Gold entdecken wir, wie ein Schleier auch ein Keim sein kann; Gold, das Medium von Schlamm und Stein, kann in Kot- oder Fäkalgestalt in den Gefilden imaginären Hortens erhöht werden und zur Kriegsbeute von Weltreichen und zum Wohlstand der Nationen werden. Um zu erkennen, welche Verbrechen sich hieran anschließen, und zwar nicht nur die totgeschwiegene Saga um die für den Zahlungsverkehr und nicht nur für Sammler geprägten Quarter Eagles von 1841, sondern auch Nixons Abschaffung des Goldstandards, wenden wir uns erneut an Marx, der daran erinnert, dass wir in unserem Ungleichgewicht zwischen Geld als Symbol der Zirkulation und Gold als einer ästhetischen Ware an einen Scheideweg gelangen, wo der Horter uns schon erwartet, der komische shylocksche Geizkragen, für den »der Trieb der Schatzbildung von Natur maßlos ist«. Hier verliert der Träumer den Text aus den Augen, die goldene Fußnote, die für ihn nie an ein Ende kommen sollte; etwas – der Stift, mit dem er schreibt? ein Quarter Eagle? ein Krügerrand? – versengt ihm die Handfläche und schreckt ihn auf.
    —
    Am vielleicht letzten Abend seines Lebens kommt der Letzte Kommunist mit der Linie 7 wieder an die Oberfläche zurück, die durch die unwahrscheinliche Kurve vor der Queensboro Plaza kreischt undzur Hochbahn wird, und Mond und Straßenlaternen durchbohren den Waggon wie die Pfeile den heiligen Sebastian. Aber nicht das Licht hat ihn geweckt, sondern der winzige Jointpfeil, den er sich in der Hand ausgedrückt hat. Anscheinend hat er ihn im Kampf umklammert, und jetzt merkt er, dass er sich daran verbrannt hat. Er öffnet die Faust und lässt den Stummel zu Boden fallen. In einem film noir ein Indiz, das den Fingern des Toten entwunden werden muss. Seine Entführer achten nicht darauf. Sie haben den Waggon für sich, haben andere Fahrgäste wahrscheinlich vom Einsteigen abgeschreckt, als ihr seltsames Tableau durch die Bahnhöfe fuhr – zwei Gorillas und ein komatöser Sklavenbefreier. Der wundersamerweise unversehrte Zylinder liegt neben ihm auf der Bank. Der Schmerz der zusammengedrückten Kehle erinnert ihn daran, dass er die Strecke zum Tod schon halb hinter sich hatte und zurückgekehrt ist. Er fragt sich, wie lange sein Gehirn wohl keinen Sauerstoff bekommen hat.
    Vielleicht seit 1956.
    Vielleicht noch länger, seit jenem Tag, an dem er seine Kusine wiegte und seine ganze Persönlichkeit in seinen Schoß wanderte.
    Schachfiguren, Baseball, Krügerrands, die Konstellation des Unsinns, mit dem er sein einsames Leben dekoriert hat. Und all das umgab ein bleibendes Geheimnis: seine Überzeugungen. Diese bilden im Letzten Kommunisten in den Jahrzehnten des Nichtbegreifens und der Verachtung eine kleine Zone der Finsternis, behütet und dauerhaft, während die Linie 7 nichtsahnende Pendler in Passagen der Dunkelheit und des Lichts beschirmt.
    Der Letzte ist ein Mann, den die Geschichte aufgegeben hat. Er hätte beim Anbeginn dabeisein und in den Zähnen der Zaren einen blutigen Kommunismus schmieden sollen. Oder so lange leben, dass er noch seinen letzten Triumph miterlebt hätte, eine Vision à

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