Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
mit sich handeln ließ. Dass er in Lebensgefahr schwebte, würde sie nicht beeindrucken.
Lieber von vornherein verdammt, sagte Lenny sich romantisch, als zu solcher Bedeutungslosigkeit verdammt zu werden. Aber – nicht Miriam. Ob diese es wusste oder nicht, sie stand unter ihrer beider Schutz. Für ihn hatte sich der Kreis geschlossen. Das sollte seine letzte Priorität sein. »Rose, will sie allen Ernstes nach Nicaragua gehen? Hab Nachsicht mit mir, wenn ich kurz mal ernst werde. Danach verschwinde ich, wenn du möchtest. Aber ernsthaft, die werden da doch umgebracht.«
»Nur zu deiner Information, das sehe ich genauso, und das habe ich ihr heute Morgen am Telefon auch gesagt. Wir brauchen in dieser Familie keinen Mittelsmann, Lenny. Du bist ein entfernter Vetter, was erklärt, warum dein heutiger Besuch toleriert wird, aber es sollte nicht wieder vorkommen. Und jetzt geh.«
»Wenn du nicht an Halloween glaubst, wie erklärst du dir dann, dass ich verkleidet gekommen bin?«
»Du bist eben verrückt.«
—
Sie gabelten ihn wieder auf, als er durch das Tor an der Skillman Avenue aus den Gardens schleichen wollte. Er riss sich los, hielt den Hut fest und rannte, Gott sei für Adidas gedankt, zum Betonhof der Cambridge Apartments, die er gleich als erstes hätte aufsuchen sollen, um in ihrer Vertikalität und Anonymität zu verschwinden, an der Tür von irgendwem rütteln, mit dem er zur Schule gegangen war und der jetzt fett geworden war und eine fette Frau und fette Kinder hatte, in der verwirrenden Anonymität von Queens verschwinden, wo er auf Tauchstation gehen konnte, bis über die krumme Tour mit den Krügerrands Gras gewachsen war. Er hätte mit seinen beiden flachen Händen fünfzehn Klingelknöpfe auf einmal erreicht, und irgendwer, der Besuch erwartete, hätte schon auf den Summer gedrückt. Er schaffte es aber nur bis zum ausgetrockneten Betonspringbrunnen, in dem er den von einem Kind vergessenen, leuchtend orangen Baseball erblickte, der schon Spinnweben ansetzte und vor sich hingammelte. Er überlegte kurz, stehenzubleiben, sich den Ball zu schnappen und seine Verfolger zu bewerfen. Aber er hatte eine kaputte Schulter, konnte wahrscheinlich gar nicht werfen, irgendwas hatte sich bei seinen Eskapaden von den Bacchanalien im Village bis in Roses Bett nur verschlimmert. Vögeln war wie Turnunterricht, wie Liegestütz, und er war lange nicht mehr beim Fitness gewesen. Er ignorierte den Ball und schlug Haken Richtung Eingang. Die erste Kugel durchschlug die Krempe des Zylinders.
Das Jahr, in dem sich Rose Angrush Zimmer in Archie Bunker verliebte, war das Jahr, in dem sie anfing, an den Beerdigungen Fremder teilzunehmen. In dieser Zeit wurden auch ihre Wanderschaften immer erratischer, die Umlaufbahnen ihrer alten Bezirksstreifen durch Sunnyside eierten und wurden seltsam, bis sie dann ganz aufhörten.
Warum um Himmels willen ging sie bloß zu den Beerdigungen?
Mit Douglas Lookins fing es an. Ohne jede Vorwarnung erlag er einer Embolie, nur wenige Monate nach Dianes Zeitlupenabschied von der kostbaren Ansammlung ihrer Beschwerden. Eine vollkommene Nachahmung des treuen Gatten, für den es ohne die Partnerin kein Weiterleben gibt. Ein weiterer Pinselstrich, der das Meisterwerk der Erniedrigung vervollständigte, das die Affäre für Rose dargestellt hatte, aber trotzdem ging sie hin, um ihn zur letzten Ruhe zu geleiten. Die noble Bestattung eines Polizisten auf dem New Calvary Cemetery in Maspeth, auf einem wolkenverhangenen Hügelchen, wo er im Meer der Grabsteine mit Blick auf den Long Island Expressway verschwand. Neben Douglas’ Vorgesetztem, einem Major, den Rose nach und nach kennengelernt hatte, war sie die einzige Weiße. Sie standen nebeneinander; Rose hätte ohne weiteres als seine Frau gelten können. Egal. Der zum Mann herangewachsene Cicero sah im Gewand eines Princeton-Bachelors selber leichenhaft aus und war kein bisschen froh, dass der Tod seines Vaters ihn zur Rückkehr in das Universum dieser sturen Böcke von schwarzen Cops und ihren leidenden Familien gezwungen hatte. Rose hatte ihn kurz umarmt, beide tränenlos, und ihm angeboten, er könne sie anrufen, falls ihm danach sei. Ansonsten hattesie mit kaum jemandem ein Wort gewechselt. Eine Kunst, die sie bei hunderten früherer Anlässe perfektioniert hatte und die keinerlei Anstrengung erforderte.
Als nächstes kam das Grauen der Kommune, die im sogenannten Gemeinschaftsgarten an der East 8th hinter der Avenue C die Asche von
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