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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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empört?«
    »Warum soll ich plötzlich empört sein? Mein Staunen über dich und viele andere Entwicklungen ist doch chronisch.«
    War sie kein Mensch? Oder nur unmenschlich geschützt? Ein Hauch Galanterie regte sich in ihm, ein selten gefordertes Verhalten. »Du bist eine schöne Frau, Rose. Ich bereue nichts. Ich dachte nur an unser beider Alter.«
    »Sei kein Schmock, Lenny. Du bist fünfzig, seit du ungefähr sieben warst.«
    Alle Galanterie verflog im Kielwasser von Roses wüster Offenheit, die ihrerseits das Rauschmittel war, das ihn immer an ihre Tür gezogen hatte. »Ironischerweise könnte es meine unerwiderte Liebe zu deiner Tochter gewesen sein, die mich vorzeitig hat altern lassen.«
    »Weißt du, wie lange es her ist, dass ich mit einem Mann geschlafen habe? Verschon mich mit meiner Tochter.«
    »Ich hab sie heute Abend gesehen.«
    »Und ich hab heute Morgen mit ihr gesprochen. Was willst du damit sagen?«
    Er lehnte an Roses Schlafzimmertür. Ob er sich damit bei ihr einsperren oder aber sich den Fluchtweg offenhalten wollte, wusste er nicht genau. Kein Nachttischlämpchen verriet Roses Lage, nur ein Rascheln ertönte, als sie sich nach seinem Aufstehen mit irgendetwas zudecken wollte. Jenseits dieser Wände waren zwei Idioten in der Linie 7 mit leeren Händen eine Station weitergefahren, wahrscheinlich an der Bliss Street ausgestiegen, und nun mussten sie sich überlegen, wie sie Gerry Gilroy erklären sollten, dass sie ihn geschnappt und wieder verloren hatten. Vielleicht hatten sie den Bahnsteig gewechselt und waren zur Lowery zurückgefahren, um von dort aus die Straßen von Sunnyside abzusuchen.
    »Miriam genügt deinen Ansprüchen nicht.«
    »Da musst du schon etwas genauer werden.«
    »Du wolltest die Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse verbessern und den vorgezeichneten Verlauf der Zivilisation ändern. Deine Tochter will bloß LSD in die Trinkwasserversorgung schütten.«
    »Ich erlaube mir zu widersprechen. Meine Tochter ist eine größere Revolutionärin als du und ich zusammen, Lenny.«
    »Das meinst du nicht im Ernst. Du veräppelst mich doch bloß.« Er schaffte es nicht, den Missmut aus der Stimme herauszuhalten. »Sie boykottiert Weintrauben und demonstriert für mehr Kinderkrippen, aber die Geschichte ist für sie ein Witz. Ich hab sie heute Abend gesehen, und sie und ihr Quäker waren als südamerikanische Guerilleros verkleidet wie Woody Allen in Bananas.«
    »Sie verkleiden sich nicht.« Rose Stimme nahm in der Dunkelheit eine verdrießlich prophetische Färbung an wie der Große und Mächtige Oz. »Sie stecken den Jungen ins Internat und gehen Anfang nächstes Jahr nach Nicaragua. Tommy schreibt schon Songs auf Spanisch.«
    »Das sind doch bloß Kostüme, Rose. Du irrst dich.«
    »Nein, du irrst dich. Warum sollten sie irgendwas davon dir erzählen, für den die Revolution immer nur eine Art Allegorie war. Du bist hier doch der, der sich verkleidet. Sie ist auf den Stufen zum Capitol festgenommen worden, sie hat bei der Weltausstellung gegen Lyndon B. Johnson demonstriert, und jetzt stürzt sie sich in die richtige Revolution. Und wo warst du? Hast die mystischen Freimaurersymbole auf einer Fünfdollarmünze angestarrt und warst dir zu gut für sowas.«
    »Ich hab gesehen, dass sie für Halloween Tarnanzüge wie aus irgendwelchen Comics angezogen haben. Die werden doch eingebuchtet, bevor sie aus dem Flughafen raus sind.«
    »Von Halloween versteh ich nichts.«
    »Dann guck in den Kalender.«
    »Guck doch selber. Als amerikanische Tradition gibt’s das gar nicht,das ist ein Gerücht, ein böser Traum, den wir aus der Alten Welt, aus Transsylvanien mitgebracht haben. Das Grauen wollten wir doch gerade hinter uns lassen. Nur du nicht, für den das ganze Jahr über jeden Abend Halloween ist. Werd doch mal erwachsen, Lenny.«
    »Du hast gesagt, ich bin schon ein alter Mann.«
    »Und ein Kind.«
    »Das ist doch Wahnsinn. Wir haben gerade zusammen geschlafen, Rose.«
    »Verschwinde aus meinem Zimmer, verschwinde aus meinem Haus.«
    »Ich hab da draußen Feinde.«
    »Du hast dir nie einen Feind gemacht, der die Feindschaft wert gewesen wäre. Und versuch nicht, dich nach all der Zeit unter meinen Rockschößen zu verstecken.«
    Sie konnte nicht anders, sie musste ihn provozieren und beleidigen, wie sie ihn auch schon immer und für alle Zeit inspiriert hatte. Rose war eine Statue, die man studierte oder ignorierte, die jedes Wetter ertrug und Taubenscheiße sammelte, aber nicht

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