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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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die bei den Zusammenkünften der Partei schweigend Widersprüche gesammelt hatten, Mauerblümchen des Bösen. Der Botaniker selbst warnirgends mehr zu sehen. Auch El Destruido verschwand kurz aus dem Kreis. Die jungenhaften Soldaten verteilten großzügig Bananenblätter mit Bohneneintopf und irgendwas in Blechbechern, das sie Kaffee nannten. Sicherheiten verschwammen im abendlichen Zwielicht.
    Nach El Destruidos Rückkehr erkundigte sich Tommy mit Hilfe von Fred dem Kalifornier: »Sie sind Revolutionär, oder?«
    El Destruido nickte glücklich. Dafür brauchte er keinen Dolmetscher.
    »Aber kein Sandinist?«
    El Destruidos Achselzucken wurde von Fred dem Kalifornier ausbuchstabiert: »Er meint, anders als die Amerikaner glauben, sind nicht alle Revolutionäre Sandinisten.«
    »Weiß er, was in León passiert ist? Dass sich die verschiedenen Fraktionen dort auf ein Ziel geeinigt haben?«
    El Destruido sah Fred an, der ihm auf Spanisch etwas erklärte, und sagte dann: »Nicht alle Fraktionen.«
    »Aber er ist schon ein Kämpfer für die jetzige Revolution, oder?«
    Diesmal unterhielten sich Fred und El Destruido länger und lachten zwischendurch.
    »Und?«
    »Er sagt, vielleicht gar nicht mal für die jetzige Revolution. Er sagt, er wartet vielleicht die nächste ab.«
    »Die nächste?«
    »Natürlich, es gibt immer eine nächste. Deswegen heißt es schließlich Revolution, oder?«
    Bevor Miriam Tommys nächster Frage zuvorkommen musste, sprach El Destruido sie beide direkt auf spanisch an, zeigte auf Tommys Gitarrenkoffer und machte sein Anliegen unmissverständlich deutlich.
    »Er möchte, dass du spielst«, sagte Fred der Kalifornier. »Bevor du über ihn schreibst, möchte er andere Songs von dir hören.«
    »Sing was Englisches«, warf Miriam ein. »Spiel doch welche von den Bowery-Songs.«
    »Schlaue Lady«, sagte Fred der Kalifornier.
    Während Tommy eine Version von »Randolph Jackson Jr.« zum Besten gab, setzte sich Miriam neben Fred. Eine Fehleinschätzung, eine kleine Eitelkeit ihrerseits – aber dass sie deswegen jetzt dem Untergang geweiht waren, hielt sie ihren schärfsten Selbstvorwürfen zum Trotz für unwahrscheinlich. Eher hatte es sie dazu verurteilt, dass jeder seinem Schicksal allein ins Auge sah, so wie Julius und Ethel. Oder auch nicht – vielleicht hatte sie das besondere Augenmerk von Fred dem Kalifornier schon vor diesem kleinen Versuch auf sich gezogen und gehofft, dass sie ihm als Zynikerkollegin sympathisch sein könnte, als eine, die immer auf der Suche nach den Freuden der Ironie war. Denn Fred musste doch einfach ein Ironiker sein, sonst wäre er doch jetzt nicht hier, oder? Bitte! Alles andere wäre furchterregend.
    Auf jeden Fall bekam Fred ihre Schwingungen mit und zog die Augenbrauen hoch, als sie neben ihn glitt.
    »Schon ein komisches Paar«, sagte sie und nickte zu El Destruido und ihrem Mann hinüber.
    »Bisher hat das Glück der Iren gehalten.«
    »Tommy hat gehört, es wäre eine Revolution der Dichter, aber ich glaube nicht, dass er je so viele bewaffnete Dichter gesehen hat.«
    Fred fuhr sich mit einem dreckigen Daumennagel durch den Bart. »Hab gehört, wie er Quäker erwähnt hat.«
    Miriam erschrak, hatte vorher nicht gemerkt, dass der Amerikaner ihnen auf der Spur war. Tommy hatte das American Friends Service Committee mit vollem Namen erwähnt, wie er das überall machte, ihren heiligen Status als amerikanische simpáticos herausgestrichen und gehofft, jemand würde anbeißen und fragen Was ist ein Freund?. In stockendem Englisch hatte einer der jüngeren Soldaten den Köder geschluckt.
    »Ja. Er ist Pazifist.« Sie merkte, wie sie Tommy mit einem Pronomen stranden ließ. Als sich ihr Schachzug auf offenen Verrat zuschob, wurde ihr übel. »Ich meine, wir sind nicht blind für das, was unten in León vor sich geht. Das AFSC denkt eher daran, was als nächstes kommt. Die Rachemorde fangen an, und dann habt ihr das nächste Chile.«
    »Das werdet ihr hier nicht oft finden.«
    »Was?«
    »Pazifismus.«
    »Ach so.«
    »Der Zerstörte steht eher auf die sogenannte Erlösung durch Gewalt. Hey, nichts für ungut, aber ich würd gern die Musik hören.«
    Ihre Blicke trafen sich, dann glitten Freds an ihrem Körper hinab und wieder hinauf. Die einzige Ironie, die Miriam darin erkennen konnte, war die vom Typ Die Schnalle redet zu viel. Miriam fragte sich langsam, wie weit sie ihr Band zurückspulen musste – ein paar Minuten? ein paar Tage? Bis nach León oder nach Costa

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