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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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nächster Zug mochte spontan gewesen sein, kein Plan, und die herabgelassenen Jalousien waren kein Zeichen ihrer Voraussicht. Rose hatte ein Talent für improvisierte Theatralik, das musste Miriam ihr lassen. Speziell diesmal. Rose zog an der Schärpe ihres Morgenmantels, riss ihn auf und warf ihn zu Boden. Dann nestelte sie am hauchdünnen Nachthemd darunter, zerriss den Stoff, wo er ihre großen weichen, blassgelben, von Leberflecken gesprenkelten Brüste bedeckte, so dass diese hervorquollen, eine absurde Darbietung, eine absurde Anklage.
    »Wenn ich könnte, würde ich mir das Herz herausreißen und es auf den Boden werfen, damit du sehen kannst, was du ihm angetan hast. Schau dir stattdessen den Körper an, der dich nicht nur unter Schmerzen zur Welt gebracht hat, sondern der dich auch gestillt und gebadet hat und der sich, um dich ernähren und kleiden zu können, hat zerstören lassen, indem er Tag für Tag einen Kilometer weit in Stöckelschuhen zur Pökelfabrik gegangen ist, weil Solomon Real wollte, dass Damen wie Damen aussehen, auch wenn sie bis zu den Achselhöhlen in seiner Salzlake steckten. Kein schöner Anblick, was? Ich bin keine Botticelli wie du, du Nymphe in einer stinkenden Bettdecke.« So fing der echte Monolog an, die eigentliche Prüfung. Miriam tröstete sich mit dem Gedanken, dass es um Klausurfragen mit umgekehrtem Vorzeichen ging: Rose hatte kein Interesse an etwaigen Antworten, sie wollte bloß, dass Miriam über ihr episches Verhör nachdachte. Miriam musste bloß einen Weg finden, ihre Mutter zu überstehen, sich so postieren, dass sie überleben konnte, sich aber nicht unterwerfen musste, bis Rose irgendwann erschöpft war.
    Miriam konnte sich einen Konter nicht verkneifen, obwohl sie wusste, dass Gegenwehr keine gute Idee war. »Ich denke, du warst die Buchhalterin – das Gehirn hinter Sols Geschäft.«
    »In den ersten Jahren habe ich Seite an Seite mit den Arbeiterinnen gestanden, die von der Pisse aufgeweicht wurden. Dass ich die einzige war, die sich am Telefon mit anständigem Englisch melden oder eineReihe von Zahlen korrekt zusammenzählen konnte, stellte mich nicht eine Stufe über die Lieferjungen oder meinetwegen die Pferde, die die Fuhrwerke gezogen haben. Alles nur, damit du einmal die Chance haben würdest, an der besten öffentlichen Universität der Welt zu studieren, ein Privileg, dessen historische Seltenheit zu verstehen von dir natürlich nicht erwartet werden kann, da du die Chance, etwas über die Wirkungszusammenhänge der Welt zu lernen, ja nie ergriffen hast, dabei ist die heutige Welt nicht etwa präzedenzlos entstanden, sondern eben ein Produkt der Geschichte. Anscheinend willst du ja unbedingt lernen, wie so ein Männerschwengel funktioniert. Du möchtest lieber am College für Geschlechtsverkehr studieren!« Roses gesprenkelte Brust war von Zorn und Erleuchtung entflammt; die Röte kroch in die Brüste, die kaum bedeckt waren und ihre Worte mit ihrem obszönen Wippen betonten. Sie sahen verbrüht aus, rosarote Monde im abgedunkelten Schlafzimmer. Rose merkte selbst, wie sie hüpften und sprangen, umschloss sie mit den Händen und nahm sie in ihr Tableau auf. »Hier ist das Resultat und blickt dir ins Auge, falls dir das entgangen ist. Er steckt ihn in dich rein, und du blähst dich mit einem Kind, dein Körper wird zum Schlachtfeld, dann zu ewiger Knechtschaft versklavt, und was ist der Dank? Eine Tochter, die erklärt, mit siebzehn Jahren hätte sie genug vom College. Das Endprodukt, wie es scheint. Sieh dich doch an!«
    Wenn Rose die Rote Königin und Miriam Alice war, dann musste Miriam beim nächsten Zug tunlichst die Felder des Schachbretts vermeiden, denen Rose absurderweise die Titel Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft gegeben hatte. Je näher sie den Angelegenheiten des weiblichen Körpers kamen, der hier gerade in zwei Exemplaren von extremer Entflammbarkeit anwesend war, desto irrationaler (wenn es in dieser Irrenhausatmosphäre überhaupt Abstufungen der Rationalität gab), desto entflammbarer wurde Rose. Nein, Miriam musste den einzigen Sprung schaffen, der sie aus diesem Terrain herausführen konnte: den Sprung auf das Feld namens Hochschulbildung. Angelegenheiten des Geistes. Rose musste zum abstrakten Denken gebracht werden –zu den Erleuchtungen des Marxismus, dem Verrat des Stalinismus und dem Grauen des Hitlerismus, dem Erbarmen des Lincolnismus, der Pracht der amerikanischen Freiheit, dem Rausch öffentlicher Bibliotheken,

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