Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
ehrlicher Polizisten und des Zusammenlebens von Negern und Weißen im Central Park – das war für Miriam die halbe Miete. Und wo sie gerade dabei war: Den einen entflammbaren Frauenkörper ankleiden, nämlich den, den anzukleiden Miriam befugt war. Sollte Rose doch nackt bleiben, wenn ihr danach war.
    Während Miriam also in, wie sie hoffte, besänftigendem und vernünftigem Ton antwortete, verließ sie mit ihrer Freiheitsstatuenbettdecke Roses Schlafzimmer und wühlte in ihrer Kommode nach einer rudimentären Neubekleidung. »Mutter, ich weiß, dass es ein Wahnsinnssystem ist, aber du wirst mir doch zustimmen, dass das Queens College mit dem Campus von Manhattan einfach nicht mithalten kann. Für mich ist das, als hätte ich immer noch dieselben Leute wie an der Highschool am Hals.«
    »Die Söhne und Töchter anständiger Arbeiterfamilien, genau wie du, auch wenn du dich dessen schämst.«
    »Ich bin nicht die einzige, Rose. Nur die Spießer rennen nach den Seminaren nicht sofort zur MacDougal Street rüber. Bei einem einzigen Gespräch über Gott und die Welt im Washington Square Park lerne ich mehr als in meiner gesamten Zeit am Queens College.«
    »Ach, nur die Spießer ? Du solltest dich mal hören. Trotz deines Beatnik-Geredes entgeht mir durchaus nicht, wie du uns andere einschätzt. Wer gibt dir eigentlich das Recht zu so strengen Urteilen?«
    »Willst du mir vielleicht erzählen, du würdest die Welt nicht in Wissende und Ahnungslose unterteilen, Rose? Soll ich lieber deinen Ausdruck verwenden? Schafe ? «
    »Die erlauchten Geister fliehen also sofort nach Seminarende, aber du konntest nicht mal das abwarten. Mit dem Studienabbruch hast du die Chance auf deinen Wechsel zum City College verspielt, wenn du schon so versessen darauf bist, von mir wegzukommen, und nach Harlem hochfahren willst, um da oben in Gesellschaft der großen widerlichenJuden zu sein. Du brauchst eine berühmte Atmosphäre, oder du langweilst dich, seh ich das richtig?« Rose hatte den Morgenmantel jetzt wieder um das zerrissene Nachthemd gerafft und war Miriam bis zur Tür ihres Zimmers gefolgt. Sie schien sich auf magische Weise beruhigt zu haben, auch wenn es trügerisch war zu glauben, dass das so schnell gehen könnte.
    »Mutter, wo hast du denn das ganze Geschichtswissen erworben, das du mir immer um die Ohren haust? In der Schule oder woanders – bei Sitzungen, in Cafés?«
    »Was glaubst du wohl, warum Solomon Real gerade mich brauchte, um ans Telefon zu gehen, um seine doppelte Buchführung zu reparieren, um Stenographie zu lernen und das Geplapper seines Kroppzeugs unsterblich zu machen. Die armen Juden hatten nicht den Hauch einer Chance!«
    »Kann ich nicht bei Solomon den Telefondienst übernehmen? Du hast mir doch Englisch beigebracht.«
    »Mir hat das Leben nicht die Möglichkeiten geboten wie dir, die du sie alle wegwirfst, als wären sie wertlos.«
    »Du sprichst nie von deiner Schulzeit oder wenn, dann nur von der Verwunderung darüber, dass da gar kein Jiddisch gesprochen wurde. Dem Schock der Erkenntnis, dass du ganz von vorn anfangen musstest, eine Amerikanerin aus dir zu machen. Ich habe aber von klein auf richtig gesprochen, weil du es mir beigebracht hast. Das Geschichtswissen, das ich dir aufsagen soll, hast du bei Protestmärschen auf der Straße gelernt. Du hast es aus Büchern erworben, die es in der Bibliothek vom Queens College gar nicht gibt. Ich habe diese Bücher gelesen. Deine Regale sind besser bestückt als ihre, Ma.«
    »Ma«, spottete Rose, aber Miriams Schmeichelei hatte sie ins Schleudern gebracht. »Du hörst dich an wie eine Italienerin. Vielleicht hätte ich dich aus Queens rausbringen sollen.«
    »Ich kann Italienisch, capisce ?«, sagte Miriam die Imitatorin im Versuch, Rose zum Lachen zu bringen. Sie ahmte einfach ihre Klassenkameradin Adele Verapoppa nach – zu leicht. »Ojch unser mameloschnis gor nischt asoj schwer«, sagte sie in perfektem Onkel Fred. »Ich kenne den Unterschied zwischen Queens und Brooklyn – Toity -Toid Street. Du hast mir das alles beigebracht, als Nebenprodukt davon, mir jeden Akzent abzutrainieren.«
    In Miriams Kopf herrschte der Nebel der Erschöpfung, sie war verblüfft, dass die Nacht in diesen grauenhaften Tag verschmiert war, ohne dass sie ein Auge zugetan hatte oder kurz weggedöst war, hatte sich aber trotzdem weiter angezogen; im sauberen trockenen Schlüpfer, im neuen Büstenhalter und mit Strümpfen fühlte sie sich in Deckung und konnte auf

Weitere Kostenlose Bücher