Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
hatte Rose Schlagfertigkeit und Biss zurückerlangt, kundschaftete die Insassen des Aufenthaltsraums aus und fand sie unterbelichtet. Verurteilte sie ohne Gerichtsverfahren als eine Massenverschwörung des Lumpenpacks. Das außerstande war, auch nur die Konnotationen eines Beitrags in 60 Minutes mit ihr zu debattieren, ganz zu schweigen von den historischen Fehleinschätzungen der Volksfront oder den schurkischen Machenschaften des Pflegepersonals. In die letzten Lagerplätze des Bezirks verbannt, bevor dessen Bewohner dann auf die weitläufigen Flächen der wartenden Friedhöfe verteilt wurden, verkündete sie, sich im Namen von Queens zu schämen. Was hätte sie nicht dafür gegeben, einen Archie hier zu haben – selbst mit einer Edith Bunker zum Zanken wäre sie schon zufrieden gewesen. Für Rose war die Dialektik allerorten kollabiert, von MiriamsVerschwinden am anderen Ende der Telefonverbindung bis hin zum Verlust der verschiedenen altvertrauten Lüste in der Arena ihres Körpers.
»Ich hab keine Lust mehr auf Geschlechtsverkehr«, sagte sie eines Tages. »Er fehlt mir nicht.«
»Schön für dich.« Cicero dachte manchmal, dass er auf nichts anderes Lust hatte. Das konnte er zu den unzähligen Klüften zwischen ihnen hinzufügen, dem faszinierenden Sympathiemangel, der ihn an Rose band.
»Ich sehne mich eher nach regelmäßigem Stuhlgang.«
Er hatte ihr ein liniertes Notizbuch gekauft, und sie hatte mit einer Aufstellung begonnen, einer Auflistung ihrer Misserfolge auf der Toilette, in den zittrigen Blockbuchstaben, die ihre frühere Schreibstift abgelöst hatten. »Das Essen geht rein«, erklärte sie ihm. »Es muss irgendwann wieder rauskommen.«
»Ich bin sicher, dass es irgendwie wieder rausgekommen ist.«
»Nein, Cicero. Ich werde in einen Block aus festem Kot verwandelt. Eine andere Erklärung gibt es nicht.«
Allein bei diesem Thema hatte Rose ihre Ironie zurückgewonnen. Von obsessiven Enttäuschungen abgesehen – was hatte sonst je ihre Lunte entzündet? Albert hatte versagt und sie verlassen; an dieser Ironie hatte sie sich ein Jahrzehnt lang gütlich getan, bis der Kommunismus des Wegs gekommen war und ihn ersetzt hatte. Jetzt war es ihr Scheißen.
»Du wirst immer weniger, und das wird immer mehr«, legte Cicero nahe. In Lacans Terminologie trug das Phänomen des Erlöschens von Roses sexuellem Verlangen und die Ersetzung des vertrauten Ichs durch einen exkrementellen Doppelgänger den exotischen Begriff aphanisis; das verschwindende Subjekt konnte sich angesichts der Verwüstungen der Welt nicht mehr mit den Konturen des eigenen Begehrens identifizieren. Aber Cicero ersparte es Rose, ihr Töpfchentrauma ins Griechische zu übersetzen. Das war auf der anderen Seite vom Hudson besser aufgehoben.
»Ich passe mich meiner Bezugsgruppe an«, sagte sie knochentrocken. »Ich bereite mich auf den Aufenthaltsraum vor.«
—
Anfang Mai, als die Bäume ausschlugen und die Vögel auf der Insel des landschaftsgärtnerisch aufbereiteten Straßenpflasters, auf der die Lewis Howard Latimer Care Facility in den Autoabgasen des BQE erstickte, tatsächlich hörbar zwitscherten, hatte Roses neue Fähigkeit, die Belegschaft zu tyrannisieren, nach Ciceros Dafürhalten ihren Höhepunkt erreicht, und eine Schwester nahm ihn beiseite und sagte: »Sie müssen sie hier rausholen.«
»Sie kann unmöglich bei mir leben«, platzte Cicero heraus, vielleicht entsetzt von seinem eigenen Schatten, aber es konnte auch der Schatten von Diane Lookins sein. Er hatte sich an die Verstimmungen gewöhnt, die ihm von den dunkelhäutigen Frauen jedes Mal entgegenschlugen, wenn er mit einer neuen, nach Fett riechenden Papiertüte durch die Automatiktür kam, um die weiße Jüdin zu besuchen, die sie herrischer behandelte als alle anderen – was angesichts der Konkurrenz gar nicht so einfach war. Seit seiner allerersten Leichtfertigkeit im Umgang mit der Sozialarbeiterin, die ihn herzitiert hatte, war sich Cicero klein vorgekommen, weil er von diesen Frauen abhängig war, die Rose tolerant den Hintern abwischten und ihn anriefen, wenn sich ihr Zustand verschlechterte. Seine einzige Taktik bestand darin, den Kopf zu senken, wenn er an ihnen vorbeikam.
Die Schwester lachte auf. »Sie ist fit genug, um nach draußen zu gehen. Es ist nicht gut für ihre Seele, immer hier drinnen zu hocken. Mehr meinte ich nicht. Ist ja Ihre Sache.«
Als Cicero in der Woche darauf an einem sonnigen, windigen Mittwochnachmittag mit ihr zur Subway
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