Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Gluthitze. Die über die beiden Köpfe gestülpte Himmelsschale war kaum wolkengetüpfelt und von bröckeligem Blau, wo sie auf der Fassung der Kiefern auf lag, die die Schwimmer hinter sich zurückgelassen hatten. Dritte Septemberwoche und heißer als der heißeste Tag im August, heißer als Maine nach Ciceros Meinung sein sollte oder sein musste, um zum Baden im Meer einzuladen. Cicero trieb vertikal dahin, ein hundertvierzig Kilo schwerer Bowlingkegel, der kaum unter Wasser bleiben konnte, und seine Zehen streckten sich in die kühleren Zonen hinab.
Wenn man ins Meer stieg, wurde einem eine Tatsache bewusst: Die Welt wurde heißer.
Konnte noch heißer werden.
Der zweite Kopf, der zu Sergius Gogan gehörte, konnte seine Blässe nicht gegen das Mittagsgleißen schützen, während Cicero unter seinem unregelmäßigen selbstgemachten Schirm Schutz suchte, den filzigen, ergrauenden Rotorblättern seiner Dreadlocks. Unbarmherzig von Cicero, Sergius herzubringen. Er hatte irgendwo gelesen, reine Rotschöpfe wie Sergius und sein verstorbener Vater würden das ganze Leben lang Sommersprossen bilden, eine Einbahnstraße der Melaninvermehrung von der Wiege bis zur Bahre, so dass jedes Sonnenbad ihrÄußeres verniggerte. Ciceros Ansicht nach war Sergius keine solche Augenweide wie sein Vater. Im Moment erinnerte er eher an einen hilf losen rosa Ballon, der auf den buckeligen Schnörkeln seines eigenen Spiegelbilds dahintrieb. Cicero konnte kaum glauben, dass sich unten ein Körper daran anschloss.
Sergius Gogan, eine traurige Waise Anfang Vierzig, war mit einem gemieteten Prius bei Cicero angekommen, nachdem er im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Sunnyside Gardens von Philadelphia hochgeflogen war. Forschung mit welchem Ziel? Das hatte er nicht gesagt. In Ordnung, Cicero kannte ja auch alle Leute, die Sergius erwähnte. Nur warum, bitte schön, sollte Cicero es sich zur Aufgabe machen, Sergius durch Angelegenheiten seines Bluts und seiner Verwandtschaft zu steuern, Hinterlassenschaften, die allen zufälligen Umständen zum Trotz nicht Ciceros waren ? Cicero Lookins wollte dieses Gespräch nicht. Als wundersame dreifache Vorzeigefigur vom Baginstock College – die schwule schwarze Schwabbelwampe – verließ sich Cicero üblicherweise auf sein ominöses Aussehen, um die Studentenzahlen in seinen Seminaren und Sprechstunden niedrig zu halten. Wenn er seine Sprechstunden doch bloß im Meer hätte abhalten können! Aber die Aussicht auf die Meerestaufe hatte Sergius nicht abgeschreckt.
»Ja«, sagte Sergius jetzt und schnaubte und prustete im Salzwasser. »Ja, natürlich sollst du mir sagen, was du wirklich glaubst.«
»Vergiss Sunnyside Gardens«, sagte Cicero. »Das Thema gibt kein Buch her, oder es wäre längst geschrieben worden. Und wäre es geschrieben worden, fände es keine Leser.«
»Ich will gar kein Buch schreiben. Ich möchte einen Zyklus von Liedern komponieren. Über die Gardens, über Rose und Miriam, und über Tommy. Auch über seine Karriere.«
»Ah. Kommst ganz nach deinem Vater.« Cicero wusste, dass Sergius Gogan bei den Quäkern in Pennsylvania Musiklehrer war, an demselben Internat, auf das er geschickt worden war, als seine Eltern nach Nicaragua gingen, und auf dem er geblieben war, nachdem sie dort gestorben waren. Cicero erinnerte sich dunkel, gehört zu haben, dassSergius Gitarre spielte, genau wie Tommy Gogan. Dass auch Sergius Folksongs komponieren könnte, war bedauerlich.
»Ich versuch’s.«
»Konzeptalben liegen in der Familie, was?«
»Nehm ich mal an.«
»Also meines Wissens hatte dein Vater mit den Gardens nichts am Hut. Dein Vater hat mich allerdings auch nicht groß interessiert.« Cicero ließ die Unterscheidung von Vertrautheit und Interesse unkommentiert. Es wurde Zeit, unausstehlich zu werden.
»Warum nicht?«
»Tommy war dir und deiner Mutter genauso treu ergeben wie der nuklearen Abrüstung und Salvador Allende. Ich fand ihn aber immer so kalt wie einen Fisch. Und ich stand nicht auf seine Musik, so wenig ich davon kenne.«
»Ich hatte gehofft, du könntest mir von Rose und meiner Mutter erzählen«, sagte Sergius, verschob seine Bitte in eine unbestimmte Vergangenheit und fiel angesichts von Ciceros Sturheit genauso in sich zusammen wie schon so viele andere junge Bittsteller vor ihm. »Und von Vetter Lenny.«
»Aha.« Hör mal gut zu, wollte Cicero Sergius einschärfen: Cicero Lookins hat seine eigenen Eltern, Großeltern und Vettern, kann seiner eigenen Toten
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