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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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wegen eine Träne im Knopf loch zerdrücken, und da gibt es weder Juden noch Iren noch sonstwen auf  -en. Die sind schwarz. Du Rotschopf mit Geheimratsecken und deinem nichtssagend unauffälligen Akzent, der nicht mal eine New Yorker Färbung angenommen hat, du bist frei, im großen weißen Nichts aufzugehen, also mach doch. Ciceros Pfad der Gnade im Leben hatte darin bestanden, die Sättel, die er abwerfen konnte, von den Tierfellen darunter und ihren Brandzeichen und Narben zu unterscheiden, den Wahrzeichen, die er bis ans Ende seiner Tage würde tragen müssen. Sunnyside und ganz Queens, Rose und Miriam Zimmer, enttäuschte Rote, Lenny Angrush und sein vielgestaltiger Wahnsinn – es reichte. Das waren Sättel. Cicero hatte sie abgeworfen. Mit sechsundfünfzig hatte er das verdient.
    Warum sollte Cicero Lookins Sergius Gogans Zauberneger werden wollen, sein Bagger Vance, sein Obama, der ihm den »Kairos des Lernens« verschaffte? Na ja, so wie’s aussah, war Cicero das für jeden. Der Karrierezauberneger. Das war hier am Baginstock College sein Markenzeichen, wie es das auch schon in Princeton gewesen war. Ein Kompass für die Seelenreisen der weißen Heteros. Cicero war ein Experte darin, Kompassnadeln in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken, wusste genau, wie oft er Tabubegriffe einsetzen konnte, um ihre Entrüstung zu schüren, und wann er sie stattdessen bloß mit Neger und Negritude ein bisschen kitzeln musste.
    Es war einmal ein Cicero Lookins, der der Welt entfloh, nach der sich Sergius jetzt erkundigte. Er floh vor Sergius’ Großmutter Rose Zimmer. Nach der Highschool hatte er sich Roses Umklammerungen entzogen, war genauso geflohen wie vor ihm schon ihre Tochter Miriam – Sergius’ Mutter. War aus New York City nach Princeton weggelaufen, an die Alma Mater. Seine akademische Vortrefflichkeit war ein Opfer gewesen, um Rose zufriedenzustellen: Sie hatte ein Wunder erschaffen! Einen schwarzen Verstand! Aber das hatte ihr Cicero auch entfremdet, hatte ihn befreit, seine eigenen Wunder zu erschaffen, die sie bestürzten und betrübten, Perversionen der Theorie und der Sexualität. Einer seiner kleinen Racheakte: Roses Marxismus machte bei Marx Halt. Als Cicero mal eine Salve Deleuze & Guattari auf sie abfeuerte, hatte sie kalte Füße bekommen.
    Nach dem Uniabschluss war Cicero nach Westen geflohen, an die University of Oregon, hatte die Juden ebenso auf Distanz gebracht wie Harlem und die Negritude und sich an einem Ort wiedergefunden, wo er ganz von vorn anfangen konnte, ein außerirdischer Abgesandter an der Grenze. Der schrillste Hecht im Karpfenteich. Von dort nach Bloomington, Indiana, schon ein besserer Gig. Indiana roch Cicero jedoch ein bisschen zu sehr nach Ku-Klux-Klan. In den Scheunentraufen witterte er noch verrottende alte Schlingen. Schon bald spielte das Baginstock College die rettende Kavallerie und lockte mit einem leichteren Lehrdeputat, wenn er dafür den Tanzbären der Stadt Cumbowspielte. Die Küste von Maine erinnerte ihn an das, was ihm in Oregon am besten gefallen hatte, der steinerne Liberalismus, die Unterwerfung des Menschenlebens unter die Landschaft. Cicero machte sich also zum Stadtrand auf und kaufte das teuerste Haus am Cumbow Cove, das die Immobilienmakler ihm nur zeigen mochten, nur um die Traumhäuser in der Nachbarschaft mit seiner Anwesenheit zu verschandeln. Und hier floh er so oft er konnte aufs Meer hinaus. Einmal hatte ein Kollege, der mit ihm schwimmen gekommen war, erwähnt, in einer bestimmten Indianersprache bedeute das Wort für Ozean wörtlich übersetzt Medizin. Cicero hatte diese Tatsache nie verifiziert, weil sie ihm einfach zu gut gefiel.
    Und jetzt, wo er vor der Küste seines Lebens in seine Medizin eingetaucht war, belästigte ihn Rose Zimmers Enkelsohn.
    »Ich hasse sie«, platzte Ciceros schwelender Holzkohlekopf heraus.
    »Wen?«
    »Rose.«
    »Sie ist tot.« Sergius sprach, als dächte er, Cicero hätte ihn nur so weit aufs Meer hinausgelockt, weil er Angst hatte, am Ufer könne Rose ihn hören, und als wollte er Cicero versichern, dass das unmöglich war.
    »Dann hab ich sie eben gehasst.«
    »Du warst bis zum Ende bei ihr.«
    Bei ihr? Das Wort klang so neutral, suggerierte aber einen gewissen Handlungsspielraum. Cicero hatte Menschen gekannt, die bei Rose Zimmer gewesen waren, allen voran sein eigener Vater, eine Wahl, die Cicero ihm vielleicht nie verzeihen würde. Cicero selbst war unter Rose und hatte Rose ertragen. Bei Rose nur so,

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