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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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erhielt, dem er je begegnet war – auch wenn er sie nie überreden konnte, die Verwerfungen und den Hass zu überwinden, die diesenIntellekt mit Dornen spickten. Durch diese Verwerfungen und diesen Hass wusste er immer, woran er bei ihr war. Cicero glaubte nicht an Gespenster. Aber er konnte die Toten zum Leben erwecken oder jedenfalls eine von ihnen. Meistens traf er Rose in der Eisdiele, wo sie auf parallelen Hockern saßen, vor sich die Malzmilch.
    Cicero warf einen Blick auf die Comics auf dem Tresen. Ein Heft war an der Ecke schon aufgeweicht, wo es in einer Lache der von seinem Löffel getropften Eiscreme lag. Detektiv-Comics. Erstaunliche Geschichten. Ein paar Jahre danach hatte er das Interesse daran verloren, und heute konnte er nicht mehr nachvollziehen, was ihn an den knallbunten Dingern angezogen hatte, diesen dilettantischen Vorläufern der monolithisch höllischen Kultur des neuen Jahrhunderts.
    »Rose.«
    Sie zog eine Augenbraue hoch, als sie seinen Tonfall hörte.
    »Ich spreche nicht mehr als Kind zu dir, sondern als Mann.«
    »Und was für ein Mann.«
    »Alle menschlichen Lebensformen auf Erden, Rose. Das waren deine Worte. Die Schwachen und die Schwulen.«
    »Dafür habe ich gekämpft.«
    »Genau. Dafür hast du gekämpft.«
    »Warum muss ich so lange leben, dass ich Dinge bedaure, über deren Entstehung nachzudenken mich niemand hätte zwingen dürfen?«
    Cicero überhörte Roses Lamento, das zu typisch war, um mehr zu bedeuten, als dass er zur Sache kommen solle. »Dein Enkel ist aufgetaucht, Schatz. Sergius Gogan.«
    »Inzwischen wahrscheinlich auch homosexuell. Er schien mir auf dem besten Wege.«
    »Anscheinend nicht. Oder wenn, dann nicht augenfällig. Er wollte, dass ich ihm erzähle, was ich über dich weiß.«
    Wenn sie vorher eine Augenbraue hochgezogen hatte, spannte sich jetzt die ganze Rose vor Verachtung, von den hochstehenden kurzen Haaren, die, nie gefärbt, bis auf das Weiß an den Schläfen und eine Strähne in der Mitte über der Stirn immer noch schwarz waren, überdas sardonische schiefe Lächeln, das die Lücke zwischen den Schneidezähnen offenbarte, bis hin zu der Hand, die sie in die Hosenanzugsseite des Beins stemmte, das auf dem Boden stand, so dass sie nur halb auf dem Barhocker der Eisdiele saß. Rose bekannte sich vielleicht zu Marx oder Lincoln, aber so, wie ihr Körper den Raum beherrschte, war sie eintausend Prozent Fiorello LaGuardia, der einzige Bürgermeister, der je ihre Zustimmung gefunden hatte, reines, kämpferisches Scheiß-drauf-Noo-Yawk.
    »Ich habe nichts zu verstecken.«
    »Das hab ich auch nie behauptet«, sagte Cicero. »Aber ich fühle mich auch nicht bemüßigt, mir wegen der Arschabgänge deines Erdenlebens Löcher in den Bauch fragen zu lassen.«
    Man spürte, dass sie wenigstens diesen Teil des Menschen genoss, der aus ihrem Schützling geworden war.
    »Du bist doch Lehrer, hab ich gehört. Also lehre ihn.«
    »Willst du mir jetzt Gewissensbisse einreden?«
    Rose beachtete ihn gar nicht. »Pass auf. Ich schlag dir was vor. Du sagst, was du weißt und ich nicht.«
    »Und das wäre?«
    Sie zuckte die Schultern. Was das zu bedeuten hatte, außer dass sich Cicero gefälligst Löcher in den Bauch fragen lassen sollte, führte sie nicht weiter aus. Wenn er nicht von selbst drauf kam, wusch sie ihre Hände in Unschuld.
    »Jetzt trink deine Malzmilch aus, ich will eine rauchen.«
    Roses Worte schleuderten ihn in seinen Körper im Meer zurück.
    —
    Okay. Er hatte ausgeredet. Irgendwo während seiner kleinen Zeitreise hatte Cicero seinen schnaubenden Salzwassermonolog beendet. Sollte Sergius den doch erst mal verdauen. Dass die Frau, die er angeblich verachtete, sein gottverdammtes Totemtier war, würde Cicero ihm garantiert nicht auf die Nase binden.
    »Genau das hab ich gesucht«, sagte Sergius. »Besonders die kommunistischen Sachen, Roses Leben in der Partei. Ich glaube, es wäre einfach phantastisch, darüber ein paar Songs zu schreiben.«
    »Zu dem Thema sind jede Menge Songs geschrieben worden, Sergius. Ein paar sind von deinem Vater.« Cicero verlegte sich wieder aufs Rückenschwimmen, die verhornten Füße zeigten zum Ufer. Ob er Sergius weiter hinauslocken konnte, bis man kein Land mehr sah? Konnte er den Narr dort vielleicht sich selbst überlassen? Er machte ein paar fette, ungleichmäßige Schwimmzüge in Richtung Düneninseln. Sein Haus und die anderen am Cove, ihre Säulengänge und Glasschiebetüren, die Veranden mit gasbetriebenen

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