Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
Melodien. Stattdessen klapperten die langen, supergelenkigen Daumen, die hundert Akkorde hätten greifen können, endlos dieselben alten Folk-Klischees ab. C, A-Moll, G; C, A-Moll, G. Ich hab doch schließlich keinen Stummelschwanz! hätte Lenny schreien können. Warum kamen bloß keine Saxophone in Mode?
    Zwei der schaumbenetzten leeren Bierkrüge auf dem Tisch vom White Horse waren heute von Lenny. Was er normalerweise nur nippte, hatte er heute hastig runtergestürzt, noch dazu auf leeren Magen, und nun ertrank er fast in Bier, Ressentiments und dem Grölen der verschwitzten Beatniks im Schummerlicht der Bar. Im Kopf hatte er den Verschwörungsalgorithmus durchlaufen lassen und wartete darauf, dass der spontane Plausch von Mim und Tommy abklang (Bis morgen, Leute, hey, hängt mir nicht die Zeche an, dum, dum, dum ). Als er dem glücklichen Paar am schrundigen Holztisch endlich allein gegenübersaß, erklärte er ihnen alles. Mim legte Tommy den Kopf auf die Schulter und wippte mit seinem Zupfen mit. Die ehedem so kühne junge Frau, die Grazie von Sunnyside, wollte jetzt anscheinend mit der Schulter ihres Gottes verschmelzen, mit den dunklen Haaren in dem Kammgarnjacket des Strolchs aufgehen, das er trotz der Hitze über weißem Hemd und gelockerter Krawatte trug, weil er sich anscheinend für Paul Newman hielt.
    »J. Edgar Hoover macht mit Wagner und Moses gemeinsame Sache, um die Liga abzuwürgen.«
    »Häh, wie bitte?« (dum, dum, dum)
    »Shea ist nur ein Strohmann. Branch Rickey auch. Das FBI steckt mit dem Syndikat, das die großen Ligen anführt, unter einer Decke.Die haben eine Mannschaft auf die Beine gestellt, nur um den sozialistischen Baseball auszuschalten.«
    Miriam sprach, ohne den Kopf von der Schulter des Folksängers zu heben, und ihre Stimme erklang aus der wuschligen Schallwand der Haare, die Lenny auch die Sicht auf ihre Augen versperrte. »Musst du gleich das FBI auffahren, bloß weil Shea deinen Proletariern Klötze vor die Fieß lejgt?«
    »Die Aussicht auf eine neue Liga hat sie so erschreckt, dass Hoover sogar den Yankees Paroli geboten hat, um die National League in den Markt zu drücken. Vielleicht gab es hintenrum sogar einen Zusatzvertrag mit den Yankees – passt auf, wetten, Sheas glorreiche Bauernmannschaft verkauft ihre besten Spieler, als ginge es um den Ortsverband der Kansas City Athletics?«
    »Ist in deinem Komplott noch irgendwo Platz für Whittaker Chambers? Der muss sich doch glatt einsam fühlen.«
    »Und wie wär’s mit Franz Kafka?« (dum, dum, dum)
    »Ihr beiden könnt mich mal.«
    »Der gäbe doch einen prima Stopshort ab.« (dum, dum, dum)
    »Shortstop, du irisches Spatzenhirn. Du solltest ein bisschen mehr Respekt für den Nationalsport deiner Wahlheimat zeigen. Und Kafka hätte ich lieber im rechten Außenfeld, da würde seine saumäßige Motivation nicht das ganze Spielfeld in Mitleidenschaft ziehen. Noch eine Runde, wenn du einen Augenblick hast.« Das galt der Barmaus, die ihre leeren Gläser auf ein Tablett stellte und auf dem Kopf ausbalancierte, als sie sich durchs Gewühl schlängelte. Lenny musste ein neues Versteck für seine Daumen finden.
    Er schlürfte den Schaum von seinem frischen Bier, und dann zerbrach etwas in ihm, ein Klumpen, ein Eisbrocken oder eine Geröllplatte löste sich von einem Felsen und sprang weit unten im Tal in Stücke. Er konnte den Fall nicht aufhalten und die ameisenkleinen Menschlein da unten nicht warnen. Nur dem Fall zusehen.
    »Wenn man euch Neo-Ethnologen herumhopsen sieht, könnte man meinen, wir hätten immer noch 1936 oder so.«
    »Neo-Ethnologen?« Dum, dum, stop. Der Folksänger war immerhin wach genug, um zu merken, wenn ihm eimerweise Galle hingekübelt wurde, auch wenn ihm der Wortschatz zu hoch war.
    »Hinterwäldler. Flatulierende Jodler. Trachtenbummler. Die ganzen Ablenkungsmanöver für die Fershlugginer , als die gesamte Linke unter die Fuchtel von Genosse Roosevelt geriet und jeder vormals scharfsichtige Städter mit Zeichenkohle und Skizzenblock ölbohrenden Cowboys auf die Pelle rückte oder analphabetischen Landeiern, die grade mal eine einsaitige Gitarre halten konnten, ein Tonbandgerät unter die Nase rammte. Als die Partei auf Solidarität mit dem Volk aus war. Deine Musik ist die japsende Karikatur, die die Volksfront in ihrem armseligen Kielwasser hinterlassen hat.«
    Der Anstoß, der Auslöser, der diesen Wutausbruch verursacht hatte, war einige Stunden zuvor erfolgt, als Sheas Sekretärin Lenny den

Weitere Kostenlose Bücher